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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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Spiegelbild.
    Ich erschrak fast zu Tode, weil ich dachte, sie hätte mich entdeckt. Aber dann verstand ich, dass es wirklich nur mein Spiegelbild war.
    In einem anderen Teil des Hauses ging Licht an. Sie war in ihrem Schlafzimmer. Sie konnte offenbar schlafen wie alle anderen Menschen auch, alle außer mir. Ich wollte aber noch nicht zurück in das leere Restaurant. Ich ging zur Garage, sie war nicht abgeschlossen, und sah mir den Wagen an. Auch der war nicht abgeschlossen. Ich öffnete die Fahrertür und setzte mich hinter das Steuer. Sie musste so groß sein wie ich, der Sitz war perfekt für mich eingestellt. Meine Füße suchten die Pedale, meine Hände umfassten das Lenkrad, und ich verstand: Ich habe einen Führerschein, ich kann Auto fahren. Zwei Jahre lang hatte ich das nicht gewusst. Ich wollte gerade aussteigen, als ich im knirschenden Schnee Schritte hörte, die auf die Garage zukamen.
    Ich kauerte mich hinter den Beifahrersitz und machte mich so klein ich konnte. Eine Decke, die auf dem Rücksitz lag, zog ich über mich. Zwei Minuten später fuhren wir los. Ich weiß nicht, wie lange die Fahrt dauerte und ob wir noch in Hamburg waren, als wir hielten. Die Frau stieg aus. Sie kam nicht zurück. Ich drückte mich hoch und spähte aus dem Fenster, aber es war nichts zu sehen. Dann stieg ich ebenfalls aus und fand mich auf einem dunklen Parkplatz. Dumpfe, pulsierende Rhythmen drangen an mein Ohr. Ich folgte der Musik, die aus der Richtung der einzigen Lichtquelle weit und breit kam, bis ich vor einem alten Turm stand, der von innen blau leuchtete. Vor dem Eingang standen Leute und unterhielten sich, rauchten, tranken. Die Frau war unter ihnen. Sie trug nichts weiter als kniehohe Stiefel mit gefährlich hohen Absätzen und ein schwarzes Etwas, das wie ein langärmeliger Badeanzug wirkte, nur dass es aus Leder war. Aus Leder? Nein, es war ein anderes Material. Künstlich, glänzend, dehnbar, ich wusste, dass ich den Namen des Materials kannte, aber er fiel mir nicht ein. Am Dekolleté war ein großes Loch in den enganliegenden Anzug geschnitten, ihre Brüste quollen fast heraus. Ich konnte ihre Brustwarzen sehen. Die Frau rauchte und trank. Sie bekam von einem Mann, der überall – auch im Gesicht – tätowiert war und ein Halsband mit langen spitzen Eisenstäben trug, Tabletten, die sie sofort nahm. Ich sah mir die anderen an, auch sie trugen Kleidung, die nur in die Nacht, nur an einen so einsamen Ort passte. Sie schienen nicht zu frieren.
    Ich hatte keinen Namen für das, was ich dort sah, aber ich wusste, es würde die ganze Nacht dauern. Niemals würde man mich hereinlassen, aber da ich nicht wusste, wo ich mich befand, blieb mir nichts anderes übrig, als zurück zu ihrem Wagen zu gehen und dort auf sie zu warten.
    Ich langweilte mich nicht, weil ich über so vieles nachdenken musste. Zum Beispiel darüber, dass ich sie in meinem Spiegelbild gesehen hatte.
    Morgens um halb sechs kam sie endlich wieder und fuhr zurück. Nachdem sie den Wagen geparkt hatte, blieb ich noch hinter dem Sitz, bis ich mir sicher sein konnte, dass sie weg war. Dann schlich ich mich aus der Garage. Ich blieb vor dem Haus stehen, beobachtete sie, wie sie nach oben ging, sich umzog, nach unten in die Küche kam, Kaffee trank, Zeitung las … »Es hört wohl nie auf zu schneien.« Jemand stand hinter mir. Ich fuhr zusammen. »Kalle, so was kann Leute umbringen«, sagte ich. »Du musst mal schlafen, du siehst gar nicht gut aus«, sagte er zu mir. Ich nickte. Ich hatte nach heute Nacht noch mehr als sonst das Gefühl gehabt, nicht mehr lange durchzuhalten. »Ich leg mich jetzt hin«, sagte ich. »Ich hab eine Decke in der Kleiderkammer geschenkt bekommen. Ich will sie dir schenken«, sagte Kalle.
    Er ist ein guter Freund geworden in den wenigen Tagen.
    20 .  12 .  11
    Ich habe nicht geschlafen.
    Jedenfalls nicht richtig. Immer mal wieder bin ich für zwei Minuten eingenickt, nur um dann wieder hochzuschrecken. Die Haut auf meinem Rücken tut wahnsinnig weh und fühlt sich an wie verbrannt. Ich habe ganz viele Narben auf dem Rücken, ohne zu wissen, woher sie kommen. In den letzten zwei Jahren sind noch mehr dazugekommen. Obwohl ich mich an diese Zeit erinnere, weiß ich auch bei denen nicht, woher sie stammen. »Vielleicht gehört das zu deinen komischen Genen«, sagte Kalle.
    Ich war wieder bei der Frau. Sie ist auch heute Nacht zu diesem Turm gefahren. Diesmal war ich besser vorbereitet, ich habe mir in der Kleiderkammer ein

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