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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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dem Café, ich habe sie durch die Scheibe gesehen. Ich weiß nicht, woher ich diese Frau kennen soll. Sie war sehr elegant gekleidet, und sie muss sehr viel Geld haben. Sie fuhr mit einem riesigen Porsche Cayenne weg. Ich muss diese Frau finden, vielleicht erkennt sie mich auch, und dann kann sie mir sagen, wer ich bin.
    14 .  12 .  11
    Ich habe immer noch nicht geschlafen.
    Gestern Abend, als ich in mein Lager in dem leeren Restaurant verschwinden wollte, hat mich Kalle gefragt, wo ich herkomme. Kalle heißt nicht Kalle, aber alle nennen ihn so. Er hat mal versucht, von einem Dach zu springen, um sich das Leben zu nehmen, aber es hat nicht geklappt. Daraufhin nannten ihn alle Karlsson vom Dach, und irgendwann nur noch Kalle. Ich wollte Kalle das mit Ulmenhorst erzählen, aber ich brachte es nicht raus, weil ich immer noch an die Frau denken musste, die mir bekannt vorkam. Also sagte ich ihm: »Ich weiß es nicht. Ich bin vor zwei Jahren im Krankenhaus von Brunsbüttel aufgewacht. Es war Heiligabend, und der Arzt sagte, ich wäre sehr schwer am Kopf verletzt gewesen, und sie hätten mich operiert und anschließend in ein künstliches Koma versetzen müssen.« Kalle fragte natürlich, ob ich versucht hätte, von einem Dach zu springen. Ihn hatten sie auch in ein künstliches Koma versetzt, damit kannte er sich aus. Ich konnte es ihm nicht sagen. »Sie haben mich am Elbstrand auf Höhe von St. Margarethen gefunden. Sie sagten, wahrscheinlich hätte mich jemand überfallen. Ich hatte kein Geld und keine Papiere und gar nichts dabei, und jemand hat mir den Schädel eingeschlagen. Sie haben wochenlang versucht, jemanden zu finden, der mich kennt, aber niemand hat sich gemeldet. Und als ich aufwachte, konnte ich mich an nichts erinnern. Sie haben ein paar Tests mit mir gemacht und gesagt, ich hätte wohl mindestens Abitur, eine Ausbildung oder ein Studium mit betriebs- oder finanzwirtschaftlichem Schwerpunkt, sei allem Anschein nach protestantisch erzogen und politisch möglicherweise linksliberal eingestellt. Das ist alles, was ich weiß. Ich habe keine Ahnung, wie alt ich bin und wer meine Eltern sind. Ich weiß nur, dass ich nicht schlafe, seit sie mich aus dem Koma geholt haben. Ich schlafe keine einzige Nacht. Und ich hatte nicht allzu lange vor meiner Kopfverletzung zwei Operationen. Eine Niere wurde mir entfernt, und ein Stück meiner Leber. Lebendorganspenden, aber an wen und warum, ließ sich nicht feststellen.« Kalle schien beeindruckt. »Krasses Leben«, sagte er. »War bestimmt nicht leicht.« Ich sagte: »Ich weiß es nicht. Aber jetzt habe ich eine Frau gesehen, die mir bekannt vorkam. Ich muss sie fragen, ob sie mich kennt.« Kalle nickte gelassen: »Dann fragen wir sie, wenn sie wiederkommt.«
    Es schneit immer noch.
    16 .  12 .  11
    Ich habe immer noch nicht geschlafen.
    Ich fühle mich furchtbar alt und ausgelaugt. Jeden Tag fühle ich mich so. Im Krankenhaus sagten sie, sie schätzen mich auf fünfzig, andererseits gäbe es aber auch Anhaltspunkte dafür, dass ich um einiges jünger sei. Ob ich ein hartes Leben hätte. Ob ich Drogen nehme und Alkohol trinke und stark rauche. Ich wusste es nicht, und nach einigen Tests kamen sie zu dem Ergebnis, dass ich ein Rätsel sei. Ich hätte alle Anzeichen für schweren Drogenmissbrauch, und gleichzeitig gäbe es keinerlei Hinweise darauf, dass ich welche genommen hätte. Längst hätte ich Entzugserscheinungen zeigen müssen, aber keine Spur davon. Keine Ablagerungen im Haar, keine Einstichstellen, keine Nikotinflecken an den Fingern, ich weiß gar nicht mehr, was sie noch alles aufgezählt hatten.
    In der Gaststätte hängt ein Spiegel auf dem Klo. Ich sehe mich darin nicht gerne an, weil ich so alt und kaputt aussehe. Mir sind im Sommer sogar ein paar Zähne ausgefallen.
    An wen erinnert mich diese Frau?
    Letztes Jahr am 24 . 12 . habe ich meinen ersten Geburtstag gefeiert. Die Alster war zugefroren, und alle kamen ständig dorthin. Es gab viel Geld in der Zeit. Davon kaufte ich mir einen kleinen Kuchen mit einer Kerze. Eine Frau von der Caritas sprach mich an und sagte: »Es gibt Unterkünfte, da ist es warm.« Aber ich will nicht in die Unterkünfte. Die meisten Frauen sind in Unterkünften, weil sie Angst vor der Straße haben. Ich habe nur Angst vor den Unterkünften, weil ich denke, wenn ich einmal dort war, komme ich nie wieder weg.
    Übermorgen ist der vierte Advent.
    Ich muss mir überlegen, was ich an meinem zweiten Geburtstag machen will.
    Die

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