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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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Frau ist noch nicht wieder aufgetaucht.
    17 .  12 .  11
    Ich habe immer noch nicht geschlafen.
    Heute in genau einer Woche kann ich meinen zweiten Geburtstag feiern. Kalle meint, dass ich erst Ende zwanzig bin. »Ich kenne die Menschen, besser als jeder andere. Ich weiß alles über sie. Ich kann dir aber nicht sagen, warum du so viel älter aussiehst. Du bist ja noch keine zwei Jahre auf der Straße, und du säufst nicht. Vielleicht was mit den Genen.« Das mit den Genen hatten sie im Krankenhaus auch vermutet. Aber sie fanden nichts, was auf eine seltene Krankheit oder Genmutation hinwies. Irgendwann gaben sie auf und überwiesen mich an das UKE in Hamburg. Die wussten noch weniger mit mir anzufangen. Kaum war mein Schädel wieder richtig zusammengewachsen, verschwand ich von dort, weil ich genug hatte. Aber ich wusste immer noch nicht, wie ich hieß. »Ich hab auch längst vergessen, wie ich heiße«, sagte Kalle. »Hast du nicht«, sagte ich. »Na gut, hab ich nicht. Ich will damit doch auch nur sagen, dass es gar nicht so wichtig ist, wer man mal war.« Vielleicht hat er recht. Ich will es trotzdem wissen. Auch, wo meine zweite Niere ist. Und der Rest von meiner Leber.
    Es schneit immer noch. Ich habe die Frau heute gesehen. Sie saß in ihrem Porsche Cayenne und fuhr auf den Bahnhofsvorplatz. Sie ging zum Zeitschriftenladen und kaufte sich ein Managermagazin und eine Financial Times. Ich wollte näher an sie ran, aber natürlich ließ mich der Verkäufer nicht in den Laden. Ich habe mir das Kennzeichen gemerkt. Ich gehe einfach alle Straßen ab und suche ihr Auto. Es wäre ein schönes Geburtstagsgeschenk, wenn ich sie finden könnte. Kalle sagt, er hilft mir. Aber er schläft immer so viel.
    18 .  12 .  11
    Ich habe immer noch nicht geschlafen.
    Kalle ist mir zuliebe wach geblieben. Wir sind ganz Blankenese abgelaufen, in Garagen eingestiegen, auf Grundstücken herumgeirrt. Wir haben uns fünf Schneeballschlachten geliefert, und in einem Garten haben wir einen Schneemann gebaut. »Ich weiß gar nicht, was du hast. Es ist doch viel schöner, nachts wach zu sein, wenn alle schlafen«, sagte Kalle. »Wenn ich dafür tagsüber schlafen könnte«, sagte ich.
    Wir fanden das Auto. Es stand in einer Garage, die zu einer Villa in der Reichskanzlerstraße gehört. »Hier wohnt sie also«, sagte ich und suchte das Klingelschild. Da waren nur die Initialen DK zu lesen. Weder das Haus noch die Initialen halfen meiner Erinnerung auf die Sprünge. »Wir können vorm Haus warten, bis es Morgen wird und sie rauskommt«, sagte ich. »Wir erfrieren, wenn wir das machen«, sagte Kalle. Es schneite immer noch. »Gehen wir wieder. Du kannst dich morgen früh vor die Tür stellen und warten.«
    Als ich gegen acht ankam, waren bereits frische Reifenspuren im Schnee. Sie musste gerade weggefahren sein. Ich wartete in der Hoffnung, sie sei nur Brötchen holen gefahren, aber dann vertrieben mich die Nachbarn. Ich fragte noch nach dem Namen der Frau, da wurden sie so richtig wütend und tippten schon die 110 in ihre Handys. Ich muss abends wiederkommen, wenn es dunkel ist. Ich werde einfach bei ihr klingeln.
    Als ich bei Kalle und den anderen am S-Bahnhof war, schlief ich für ein paar Minuten ein. Ich träumte von der Frau, sie stand hinter einer Scheibe und machte alles nach, was ich machte. Sie stand in einem Garten, und es war Sommer.
    Der Schnee hört nicht auf.
    19 .  12 .  11
    Ich habe nicht geschlafen.
    Gestern Abend war ich bei ihr. Ich versteckte mich im Garten, wegen der Nachbarn, und als sie endlich kam, war es schon neun. Ich wartete, bis sie im Haus war, und beobachtete sie durch das Fenster. Ich erinnerte mich an meinen kurzen Traum und machte absurde Bewegungen, aber sie machte sie mir nicht nach. Sie telefonierte, sie trank ein Glas Wein, sie schaltete den Fernseher an und las gleichzeitig in einem Buch.
    Sie sieht so alt aus, wie ich sein soll, wie Ende zwanzig oder Anfang dreißig. Sie hat gepflegtes langes dunkles Haar, eine perfekte weiße Haut, eine perfekte Figur. Sie kleidet sich wie alle Frauen hier, mit engen Jeans, hohen Stiefeln und engem Kaschmir-Pullover, nur dass sie darin viel besser aussieht als alle anderen.
    Ich stand eine halbe Ewigkeit am Fenster, aber mir fiel nicht ein, woher ich sie kannte. Dann machte sie das Licht aus, und im schwachen Schein, der von der Weihnachtsbeleuchtung der Nachbarn auf ihr Grundstück drang, sah ich mein Spiegelbild auf der Fensterscheibe.
    Sie
war mein

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