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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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dankenswerterweise auch gleich des Schnees entledigt hatte. Auch die anderen zwei Bäume aus der Dreierbande waren nun vom Eise befreit. Erichs Blick glitt über die Szenerie, gerade noch im Siegestaumel, klappte ihm auf einmal sein Unterkiefer herab. Er bemerkte das erst, als es ihm ins Maul schneite. Er klappte die Beißwerkzeuge wieder zusammen. An Baum drei – Erich nannte den Baum jetzt mal so – saß ein Mann. Ein kleiner Mann. Der hatte auf seiner Zipfelmütze nun auch noch eine neckische hohe Schneemütze und trug ein grünes Mäntelchen aus Nadeln, das farblich so gar nicht zu seinem lila Anorak passen wollte. Erich war im Prinzip ein klarer Mensch, nie vorschnell, aber für den Moment war auch er überfordert. Griff seinen Baum, zerrte ihn hinter sich her. Das Blut rauschte in seinem Kopf, man musste innehalten. Man musste nachdenken. Man hatte einen Mann gesprengt, der da vielleicht sein süßes Mittagsschläfchen gemacht hatte oder zu viel Becherovka oder Slivovic hatte verdauen wollen. Unter dem Schutz der Bäume hatte er sich erholen wollen, vielleicht hatte dieser ja auch eine böse Frau zu Hause. Gehabt, Erich, zu Hause gehabt, rief er sich selbst zu. Du hast ihn in die Vergangenheitsform gesprengt! Man war ein Mörder. Er war ein Mörder. Ein unfreiwilliger zwar, aber würde das zählen? Es war mit Sicherheit illegal, fremder Leute Bäume zu sprengen, und es war noch weniger legal, dabei einen Menschen einzubüßen. Vielleicht kam er mit Totschlag davon, vielleicht! Aber das würde ihn auch einige Jahre kosten. Er würde in Singsing sterben, er war schließlich über sechzig. Er wollte aber nicht in Singsing sterben, nicht er, der er so lange der Republik gedient hatte. Außerdem war er hier in Tschechien, denen traute er nicht. Deren Rechtssystem auch nicht, hatten die überhaupt eins?
    Allmählich kam sein analytisches Denken wieder. Sie würden den Mann finden, früher oder später, hier verlief ja eine Langlaufloipe, und ab dem zweiten Weihnachtstag waren hier jede Menge Jünger der Gleitsportart unterwegs. Sie würden einen Zusammenhang herstellen zwischen dem Loch und dem Mann.
     
    Erstens musste der Baum weg! Würde man die Schleifspuren des Baumes sehen? Nein, so wie es schneite und wehte, würde bald wieder eine blütenweiße glattgezogene Decke diese böhmische Gebirgswelt bedecken. Er musste in jedem Fall den Baum bei seiner Gattin abliefern, diese erst mal befrieden. Erich war ein besonnener Mann, der nach der Devise lebte: »Über diese Brücke gehen wir erst, wenn wir davor stehen.« Leider stand er in dem Fall sozusagen schon mittendrauf, hoch über bedrohlich brodelnden Wassern. Er stapfte bis zur Baude. Es blieb ihm nur, mit der Zwergensäge den Wurzelstock zu entfernen, den Baum etwas zurechtzuschütteln und dann in den Ständer zu pressen. Helene war zufrieden, sie schimpfte nicht. »Nichts gesagt, ist schon gelobt«, war Helenes Devise. Seine Gattin war zudem so echauffiert vom Stollenbacken, dass sie vor acht Uhr noch entschlummerte. Bis dahin hatte er Helenes Geplapper mit eingestreuten »Ach was« und »Was du nicht sagst« kommentiert.
     
    Erich dachte lange nach. Bis 24  Uhr. Dann kleidete er sich an, zog die Türe leise hinter sich zu und stapfte los. Der Wind hatte nachgelassen, der Schnee sank unvermindert nieder. Der Mann saß noch immer da, und Erich war mit sich selbst übereingekommen, dass er dort nicht bleiben konnte, würde der gesprengte Baum doch zumindest irritieren und potenzielle Ermittler eventuell auf seine Spur führen. Man kannte das doch aus dem Fernsehen. Die entdeckten alles, und es war bekannt, dass er Sprengmeister gewesen war. Der Mann musste weg, und ein Gedanke war in ihm gereift. Er war schließlich ortskundig, diese zehn Jahre mussten ja auch für etwas gut gewesen sein.
    Von unten herauf, unweit von »seiner« Baumgruppe, kam ein kleiner Einersessellift angescheppert. Ein recht windiges Modell, keines aus der aktuellen Skimoderne. Der Mann war dankenswerterweise leicht, obgleich er aber irgendwie in seiner Sitzposition arretiert zu sein schien. Aber eigentlich kam das Erich ja zupass, als er ihn in den Lift setzte. Der Mann passte genau hinein in den engen Sitz. Erich schloss den Bügel und drückte dessen steifen Beine auf die Fußraste. Man wusste doch, dass Leute gerne mal in Skiliften verendeten. Herzinfarkt im Sessellift, das gab es öfter. Das las man doch allenthalben in der Zeitung. Auch war bekannt, dass das Liftpersonal hier

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