Maria, Mord und Mandelplätzchen
Schuldgefühle, die sie loswerden müsse, bevor sie vor ihren Herrgott trete, sagte sie. Sie ist sich sicher gewesen, dass Fritz’ Tod kein Unfall war, sondern Selbstmord. Du hättest ihn erpresst, Doris, hat sie gesagt.«
»Unsinniges Geschwätz.« Doris sitzt kerzengerade.
»Lass mich ausreden. Nach dem, was Lore mir erzählt hat, immerhin auf dem Sterbebett, hast du Fritz von Fotos erzählt, auf denen du nach dieser wilden Party in der Wohnung von Evas Eltern in einem Weihnachtsmannkostüm einen Striptease hinlegst und er dir einen Schein in den Slip steckt. Erinnerst du dich, ich war an jenem Abend nicht dabei, weil ich mit einer Grippe das Bett hüten musste. Ich weiß noch, dass Fritz nicht allein gehen wollte, aber ich hab ihm zugeredet, weil doch unsere ganze Clique dort war. Anneliese, Frieda, ihr wart doch auch dabei!«
Ich sehe förmlich, wie es bei den beiden rattert und sie verschämt den Kopf senken.
Tante Hedi fährt fort. »Lore hat gesagt, du hast Fritz danach ein Foto geschickt und ihm gedroht, mir die Aufnahmen zu zeigen, die dein Bruder gemacht hat. Fritz war total verzweifelt. Denn er wusste, dass ich damit nicht würde leben können. Dass ich so etwas nicht ertragen, dass es keine gemeinsame Zukunft gegeben hätte.« Tante Hedi blickt Doris direkt an.
Niemand sagt etwas, alles scheint so unwirklich. Schließlich sind die vier seit so vielen Jahrzehnten befreundet, das war doch echte Freundschaft! »Hey«, bin ich versucht zu rufen, »kommt mal wieder im Jetzt an!« Doch ebenso wie Frieda und Anneliese bin ich in dieser Anspannung gefangen.
Immer noch hält Tante Hedi den Blickkontakt zu Doris, deren Körperhaltung pure Abwehr signalisiert.
»Du bist schuld an Fritz’ Tod.«
Jedes einzelne Wort kommt wie ein Pistolenschuss. »Wegen dir habe ich keinen Mann, keine Kinder. Jahrzehntelang habe ich unsere Freundschaft gepflegt und wusste nicht, was für eine Natter ich an meinem Busen nähre. Hat es dir Spaß gemacht, all die Jahre? Zu sehen, dass ich nach Fritz keinen Mann mehr angucken mochte? Hat es dir Spaß gemacht, die verständnisvolle Freundin zu spielen, mich zur Patin deiner Kinder zu machen, mir diese Almosen hinzuwerfen? War Fritz nur ein ersetzbares Bauernopfer? Immerhin hast du Otto ziemlich schnell geheiratet. Du bist schuld, und du wirst für diese Schuld zahlen.« Tante Hedi erhebt ihr Glas und blickt Doris durchdringend an. »Auf Fritz!«
»Auf Fritz«, wiederholt Doris, setzt ihr Glas an und trinkt es in einem Zug aus. Fast habe ich den Eindruck, als blicke sie Tante Hedi erleichtert an, während sie scheinbar wie gelähmt im Sessel zurücksinkt und ihr das Glas aus den Fingern gleitet.
Unsere entsetzten Blicke wandern von Doris zu Tante Hedi und den Gläsern in unseren Händen.
»Nun stellt euch nicht so an. Sie hat es verdient«, erklärt Tante Hedi lapidar. »Prost!« Sie leert ihr eigenes Glas mit einem Zug. »Ihr könnt auch trinken, ist reiner Waldmeister als Bodensatz. Sollte an früher erinnern. Bei Doris hab ich den Waldmeister allerdings mit pürierten Eibennadeln und Süßstoff versetzt.«
»Eibennadeln?«, krächze ich, während Frieda an Doris’ Arm ruckelt und »Lass den Ohnmachtsquatsch« sagt. Sie hat Tante Hedi nicht zugehört. »Kannst wieder aufwachen. War nur Waldmeister.«
»Ja. Eibennadeln«, bestätigt Tante Hedi und wendet sich an Frieda. »Frieda, du dumme Gans, hör auf. Sie wacht nicht wieder auf.«
Irritiert schaut Frieda hoch. »Nicht?«
»Nein.«
Ich schlucke fassungslos und blicke zwischen dem Sessel mit der leblosen Doris und meiner Tante hin und her.
Tante Hedi zieht die Nase kraus. »Mäuschen, du musst mir jetzt mal helfen: Wen ruft man denn in einem solchen Fall? Den Notarzt oder gleich den Bestatter?«
Autorenvita
Christiane Franke, geboren 1963 , lebt in Wilhelmshaven. Sie schreibt Romane und Kurzgeschichten und ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS) , bei den
Mörderischen Schwestern
(Vereinigung deutschsprachiger Krimiautorinnen)
,
der Autorenvereinigung SYNDIKAT und des Arbeitskreises Ostfriesischer Autorinnen und Autoren. Neben Lehraufträgen an Volkshochschulen ist sie Dozentin für Kreatives Schreiben. Mehr unter: www.christianefranke.de
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Nicola Förg
Baumsterben
Hohenelbe/Riesengebirge
Man hätte natürlich auch anders vorgehen können. Er neigte dazu, von sich selbst als »man« zu sprechen. Klang irgendwie neutraler. Aber man war nun mal das, was man war, oder? Er, Erich Eichenfrommer,
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