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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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niedrigen Couchtisch und verbarg die bunten Prospekte, die sich dort befanden, in der untersten Schublade ihres Geschirrschranks. Erna sollte vielleicht nicht gerade heute erfahren, dass sie eine Kreuzfahrt plante. Eine wundervolle Kreuzfahrt durch die Ägäis … Direkt nach Karneval würde sie losschippern, wenn es hier noch kalt und nass war, und sich die Sonne auf das selbstgehäkelte Schultertuch scheinen lassen!
    Ja, die Gewinne in der letzten Zeit waren wirklich gewaltig gewesen! Nur schade, dass es damit jetzt aus war. Hedwig war zu klug, um ihr eigenes, sorgsam gespartes Vermögen im Kasino aufs Spiel zu setzen. Sie würde sich eine neue Quelle für ihre Nebeneinkünfte suchen müssen.
    Als Erna mit der dampfenden Teekanne zurückkam, schien sie sich beruhigt zu haben. Sie nahm bereitwillig von den Florentinern und lobte die Zitronenherzen sehr. Sie goss den Tee gerecht in die Tassen, rührte Kandis hinein und lächelte.
    Als Hedwig ihre Tasse zum Mund führte, rührte Erna immer noch Kandis in ihren Tee.
    »Ich dachte, du magst nicht so viel Zuckkk…«, sagte Hedwig, dann sagte sie nichts mehr.
    Erna rückte ein wenig nach hinten, als ihre Freundin vornüberfiel.
    »Schade, Hedwig«, sagte sie in das Röcheln der anderen hinein. »Schade, dass du nicht ein bisschen mehr Taktgefühl und Anstand besitzt. Wir hätten uns wirklich noch so eine nette Zeit zusammen machen können, jetzt, wo wir beide Witwen sind.«
    Sie schnupperte an ihrem Tee. Es war guter Tee, er roch auch gut. Ein wenig zu sehr nach Marzipan vielleicht, sie würde ihn nicht anrühren. Sie näherte ihr Ohr dem Mund der anderen und lauschte.
    Kein Atem.
    Nur das Ticken der Wanduhr und das Quietschen eines Busses, gedämpft von den neuen zweifachverglasten Fenstern, die Hedwig sich mit ihrem verbrecherischen Verhalten im Kasino angeeignet hatte. Sonst hörte Erna nichts, doch dafür roch sie etwas.
    Hedwigs Mund entstieg, ganz leicht nur und durchaus angenehm, der Duft einer Prise Zimt, eine Ahnung von Sternanis und das volle marzipanartige Aroma von Bittermandel.
    Blausäure.
    Draußen fiel der erste Schnee. Er fiel zart und leise, so, als hätte er Angst, Erna zu stören. Er überzuckerte die Dächer Königswinters und tanzte im goldenen Schein der Weihnachtsbeleuchtung auf und ab.
    Erna spülte die schönen Tassen sehr sorgfältig ab und räumte das Geschirr wieder in den Schrank. Vorsichtig befreite sie den Tannenbaum aus seiner Zellophanverpackung. Während sich sein stechender Geruch in der Wohnung ausbreitete, verließ sie die Wohnung.
    Wer immer Hedwig finden mochte, würde nicht den Hauch verräterischen Bittermandelaromas identifizieren können.
    Dafür sorgte schon der Tannenbaum.
    Garantiert.

Autorenvita
    Judith Merchant, geboren 1976 , Germanistin und Dozentin für Literatur, lebt mit ihrer Familie in Königswinter am Rhein. 2009 und 2011 gewannen ihre Kurzgeschichten
Monopoly
und
Annette schreibt eine Ballade
den Friedrich-Glauser-Preis. Ihr Romandebüt
Nibelungenmord,
das im sagenumwobenen Siebengebirge spielt, erschien im Knaur Verlag.

[home]
    Doris Bezler
    Weihnachtsengel
    Offenbach
    Die alte hölzerne Terrassentür ließ sich nur mit einem heftigen Ruck öffnen. Herta Göbel trippelte mit vorsichtigen Schrittchen über die verschneiten Platten zur steinernen Brüstung, auf der ein Vogelhäuschen aus Birkenholz mit einem borstigen Strohdach angebracht war. Auf halbem Weg hielt sie inne und blickte sich um. In dicken Packen klebte der Schnee in den Zweigen der alten Nadelbäume und auf den Blättern der immergrünen Gewächse, die ihren kleinen Hausgarten säumten. Hier, in diesem dreistöckigen Altbau, war sie geboren worden. Vor etwas mehr als fünfundachtzig Jahren. Da oben im ersten Stock. Sie hatte die Bäume wachsen sehen, hatte erlebt, wie sie das Stückchen Himmel über dem Garten mit ihren wuchtigen Kronen immer kleiner werden ließen und den Garten immer dämmeriger. Ein schützendes Nest, in das kein neugieriges Nachbarauge blicken konnte. Das war ihr recht so.
    Nachdem ihr Sohn ausgezogen war, hatte sie sich in der Parterrewohnung eingerichtet. Das war einfacher wegen der Treppen. Und schöner wegen des Gartens. Aber auch gefährlicher wegen der Einbrecher. Daher glitt ihr Blick jetzt prüfend über die Schneefläche auf der Veranda und von dort zur Treppe, die in den Garten hinabführte. Keinerlei Fußspuren waren auszumachen, auch nicht auf dem kleinen, jetzt weiß beschneiten Rund in der Gartenmitte. Keine

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