Maria, Mord und Mandelplätzchen
Göbel selbstsicher.
Frau Wernecke runzelte besorgt die Stirn. »Oben die Studenten- WG ist auch ausgeflogen. Dann ist ja überhaupt keiner hier im Haus. Wir sollten einige Lichtschalter mit Zeitschaltuhren versehen.«
Herta Göbel war schon seit langer Zeit nicht mehr bereit, sich an technische Neuerungen zu gewöhnen. »Das muss nicht sein«, meinte sie, »bei mir gibt es nichts zu holen. Ich habe kaum Bargeld im Haus.«
Und mein Schmuck ist gut versteckt, ergänzte sie in Gedanken.
Dimitrij bohrte die Fäuste in die Hosentaschen seiner weiten Leinenhose mit Tarnmuster. Die geschnürten Lederstiefel unterstrichen das militärische Outfit. Das weiße Kapuzenshirt mit der schwarzen Daunenweste eher nicht. Immerhin ließ ihn die Kleidung fülliger wirken, als er war. Sein rosiges, weiches Kindergesicht hatte der Fünfzehnjährige unter einer schwarzen Schirmkappe mit einem eingenähten Emblem sich kreuzender Dolche verborgen. Die Kappe war weit ins Gesicht gezogen, so dass man die Augen nicht sehen konnte. Auch die vielen Pickel auf der Stirn konnte Dimitrij damit, zu seiner Erleichterung, gut verdecken. Neben ihm stand Mohamed, sein Klassenkamerad. Er trug allerdings keine Armeehose, sondern eine schwarze Marken-Trainingshose, die zeigte, dass er teuer eingekauft hatte. Unter seinem Blouson trug er ein schwarzes Kapuzenshirt, das er weit ins Gesicht gezogen hatte, so dass man auch von ihm nur die Nasenspitze sah und den leichten dunklen Flaum über der Oberlippe. Er hatte die Lippen zusammengekniffen und blinzelte finster zwischen den Stoffrändern der Kapuze hervor. »Omas zu rippen ist wirklich das Letzte«, zischte er Dimitrij zu. »Hast du eine bessere Idee, Mann?«, brüllte Dimitrij ihn verzweifelt an. »Ich brauch fünfhundert bis morgen. Sonst bin ich tot, Mann!«
»Wie kann man vor so einem Arsch wie Kevin nur so einen Schiss haben«, meinte Mohamed abfällig.
»Vor dem doch nicht«, brauste Dimitrij auf. »Aber er hat Freunde. Das ist das Problem.«
»Wenn ich meine Cousins hole, hat
der
ein Problem«, erwiderte Mohamed.
»Aber nur wegen mir kämen deine Cousins nicht. Und Geld hab ich keins, um sie zu kaufen«, wandte Dimitrij ein. Mohamed schwieg nachdenklich, was Dimitrij bewies, dass er recht hatte.
»Fünfhundert Mäuse Schulden bei Kevin. Ey, wie hast du das überhaupt hingekriegt?«, fragte Mohamed.
Dimitrij zuckte mit den Schultern, und Mohamed gab sich damit zufrieden.
»Trotzdem. Omas rippen geht gar nicht«, wiederholte Mohamed.
»Ich brauch’s aber bis morgen«, fauchte Dimitrij. »So viel Rasierklingen und Wodka kann ich heute gar nicht mehr mitgehen lassen, um das zusammenzukriegen. Um zwei Uhr machen alle Läden dicht.«
»Wieso? Heut ist doch Freitag«, wandte Mohamed ein.
»Ey, Mann, weil Weihnachten ist«, schrie Dimitrij ungehalten.
Einige Passanten drehten sich nach ihnen um. Dimitrij und Mohamed lehnten an der Umgrenzung der Rolltreppe, die zur S-Bahn-Station Marktplatz hinabführte. Ein eisiger Wind blies ihnen kleine Schneekristalle ins Gesicht. Es war nicht sonderlich gemütlich, ausgerechnet hier abzuhängen. Unten in der B-Ebene wäre es bedeutend wärmer. Doch heute war das kein guter Ort für Mohamed und Dimitrij. Da unten standen möglicherweise Kevin und seine Freunde herum. Dimitrij blinzelte über den mit Schneematsch bedeckten Platz hinüber zur Glasfront eines großen Bankgebäudes. »Ey, einfach mit ’ner Knarre da reingehen und
Cash
verlangen und dann nichts wie weg, das wär’s doch. Und denen macht es nix, die haben genug.«
»Ey, Alder, geht’s noch?«, kommentierte Mohamed. Sie lehnten mit hochgezogenen Schultern am Geländer und beobachteten die Leute, die in die Bank hineingingen und wieder herauskamen.
Sie hatte sich einen Tee aufgegossen und blickte von ihrer Wohnküche in den verschneiten Garten. Erfreut über das Getümmel der Vögel am Futterhaus unterhielt sie sich erneut mit ihrem imaginären Gesprächspartner über die Ereignisse des Vormittags.
Das leere Haus. Das macht mir nichts. Auch wenn Weihnachten ist und Uwe und Inga in Südafrika sind. Egal. Was werden sie erzählen, wenn sie wiederkommen? Kann das schön sein, mitten im Winter den Sommer dazwischenzuschalten? An Weihnachten? Das gefällt Uwe bestimmt auch nicht. Er macht das nur wegen Inga. Die war immer schon ein bisschen überkandidelt. Trotzdem. Es ist ein starkes Stück, die Mutter einfach so alleine zu lassen. Er hat sich noch nicht einmal gemeldet, um
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