Maria, Mord und Mandelplätzchen
Restfeuchte von zwölf bis achtzehn Prozent erreicht ist; wie man das Splintholz unter der Rinde entfernt. Er reicht dem Herrn ein Stück Lindenholz, elastisch, zäh und kaum gemasert; Anton weist auf das lebhafte Holzbild der Lärche hin, sein Lieblingsmaterial, schwer und fast eisenhart. Er deutet auf das vergilbte Foto seines Vaters und erzählt, dass er die Schnitzerei in siebter Generation betreibt.
Der Herr bewundert einen Hirten mit Schaf auf dem Arm, jedes Fellhaar filigran ausgearbeitet, lobt den kunstvoll verschlungenen Turban des Königs, sagt etwas von Ästhetik und erstklassigen Proportionen und blickt aus den Augenwinkeln zu Nina, die kleine Laternen über dem Stall einer Musterkrippe befestigt.
Es riecht nach Harz und Leim und Luxusparfum.
Der Herr gibt sieben Krippen für die Dependancen seines Immobilienkonzerns in Auftrag. »Die Leute schätzen Tradition. Das schafft Vertrauen.« Er reicht Anton die Kreditkarte. Er lächelt. Nina lächelt. Nina ist Antons Frau. »Ich hole die Krippen selbst ab«, sagt der Herr.
Irmgard strahlte den Herrn an. »
Sie
sind das?
Sie
haben all die Jahre unser Fest finanziert?«
Wieder erhob sich ein Murmeln. Erstaunt, betreten, fragend.
»Ja.«
»Sie Engel! Sie haben uns ein Stück Leben geschenkt!«
Ja, dachte ich. So kann man es natürlich auch ausdrücken.
Ende November. Ich stehe reglos in der Ecke neben der Werkbank. Durch die Fenster der Schnitzerei fällt Dämmerlicht. »Wo ist dein Mann?«, fragt der Herr. »Liefert eine Bestellung aus«, sagt Nina. Er nimmt ein Jesuskind aus einem Karton und betrachtet es von allen Seiten. »Ich wollte die Krippen abholen.« Er sieht Nina an. Nina sieht ihn an. Er legt das Jesuskind vorsichtig zurück.
»Kann ich Ihnen noch etwas Gutes tun?«, fragte Irmgard und gestikulierte etwas zu heftig. Eine Haarsträhne klebte in ihrem geröteten Gesicht. »Noch ein Stück Braten? Ein Glas Punsch? Haben Sie irgendeinen Wunsch?«
Anton zog den Jungen zu sich und schlang die Arme um ihn.
Mit einer Serviette tupfte sich der Herr sorgfältig den Mund ab. Dann faltete er sie zusammen und legte sie auf seinen leeren Teller. Sie sog sich mit dunklen Soßenresten voll. »Ja«, sagte er, und sein Gesicht glich einer hölzernen Maske. »Das Kind!«
Stille.
Auch Karlis spielte nicht mehr. Es schien, als hätten sogar die Kerzen ihr leises Knistern eingestellt.
Irmgard stand wie versteinert. Dann begann sie zu lachen, zuerst abgehackt, zögerlich, dann immer lauter, verstört, unsicher, ich wusste es nicht. Schließlich erstickte das hysterische Lachen in ihren Worten: »Sie sind mir ja einer. Unseren Bastian!«
Anton presste sein Gesicht in Bastians schmutziges helles Haar, und ich dachte, dass seine muskulösen Arme den Jungen erdrücken würden.
Nina schlingt ihre Arme um den Herrn. Sie zieht ihm den Mantel aus, legt ihn über eine Werkbank. »Du riechst gut.« Er streift ihr den Pullover über den Kopf und wirft ihn auf den Boden.
»Den Scheck gegen das Kind.« Die Stimme des Herrn klang hart, so als schlüge man zwei Lärchenholzstücke gegeneinander.
Draußen nähert sich ein Wagen. Licht schneidet durch die Dunkelheit. Der Motor verstummt, das Licht erlischt. Nina und der Herr nehmen es nicht wahr, und auch nicht die Schritte.
»Sch… schpinnschu«, stotterte Schwarzzahn, und zwei Zahnstümpfe zeigten sich zwischen aufgeplatzten Lippen. Es waren seine ersten Worte an dem Abend.
Die Tür zur Schnitzerei öffnet sich. Nina lacht, stöhnt, lacht, der Herr legt ihr die Hand über den Mund: »Pst, du schreist ja das ganze Gesellenpack zusammen.« Sie gluckst fröhlich. Das Licht geht an.
Anton hob den Kopf. Aus seiner Nase lief Rotz, Tränen verfingen sich in den Bartstoppeln, als er den Herrn ansah. Eine kleine Ewigkeit verging. Schließlich sagte er ganz ruhig: »Gehen Sie.«
Er hätte das schon vor Jahren sagen sollen. Er hätte es sagen sollen, bevor der Herr keuchend wie ein Ochse auf seiner Frau gelegen und bevor er zum nächstbesten, schweren Gegenstand gegriffen hatte.
»Lass sie in Ruhe«, brüllt Anton, und sein Arm fährt auf den Herrn nieder. Der rollt sich blitzschnell von Nina herunter. Die scharfen Kanten des Josef bohren sich tief in Ninas Schläfe. Ich kann meine Augen nicht vor der Katastrophe verschließen. Das Blut sickert durch Ninas helles Haar. Mir wird schwindelig.
Der Herr schüttelte den Kopf. »Nur mit dem Jungen.« Dann grinste er. »So ein Unfall, Anton … Das kann doch jedem Mann einmal
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