Maria, Mord und Mandelplätzchen
Schweigen Richtung Tür.
»Warten Sie«, rief Anton.
Der Herr drehte sich um.
»Sie haben recht. Bastian ist … Er hat alle Möglichkeiten bei Ihnen.« Antons Stimme war brüchig. »Unterschreiben Sie den Scheck.«
Für paar Sekunden war es totenstill. Dann fuhr die Bergfrau hoch, die beiden Stühle fielen krachend um, und während sie »Du willst Bastian verkaufen?« donnerte, bellte Mädel los, Schorschs Faust krachte auf den Tisch, und er schrie: »Was bist’n du für’n verdammtes Arschloch!«
Der Herr setzte sich wieder und legte den Scheck vor sich hin. »Gute Entscheidung, Anton. Du wirst sie nicht bereuen. Und du solltest nicht versuchen, juristisch vorzugehen. Du hättest kaum eine Chance – und außerdem …« Er deutete mit dem Kopf zu mir.
Anton nickte. Er saß so dicht neben mir, dass ich seine Angst stärker zu riechen glaubte als das Luxusparfum.
Bastian sagte tränenerstickt: »Ich will nicht zu dem Mann, ich will bei Papa bleiben!«
Der Herr zog einen Füllfederhalter hervor.
Antons Unterlippe begann wieder zu zittern, und ich dachte, nein, bitte, mach dich nicht unglücklich, Anton, versuche nicht ein zweites Mal, ihn zu töten, denke an dein Kind …
Die Feder kratzte über das Dokument.
Der Schädel des Herrn splitterte unter meinen Händen.
»An deinen Händen klebt Blut«, sagt der Kommissar mit den weichen Gesichtszügen zu mir.
Ich antworte nicht.
Jenseits der Stalltür hat das Blaulicht aufgehört zu zucken, von Notarzt und Rechtsmediziner zeugen nur noch die Reifenspuren, die langsam unter der weißen Schneedecke verschwinden. Der Bestatter schiebt den Sarg in den Leichenwagen, der seine Fracht aufnimmt wie ein großes schwarzes Tier seine Beute. Daneben steht die Bergfrau, die Taschen ausgebeult von den Zimtsternen, die sie noch schnell eingesteckt hat. Kauend verfolgt sie die Szene. Schorsch fährt mit dem Rollstuhl dicht an den schwarzen Mercedes heran, klopft gegen den Kühler und nickt anerkennend. Mädel schnuppert an den vielen Beinen und wedelt mit dem Schwanz. Irgendwo glüht eine Zigarette auf.
Anton steht etwas abseits. Seine Faust mit dem Scheck steckt tief in der Hosentasche. Neben ihm steht Bastian, eine viel zu große Wollmütze in die Stirn gezogen. Schneeflocken tanzen herab und setzen sich auf seine Schultern. Seine kleine Hand liegt in der von Anton.
Der Kommissar schaut hinaus. »Was meinst du?«, fragt er den Kriminaltechniker.
»Auf dem Josef sind nur die Fingerabdrücke des Holzschnitzers. Und der hat die Krippe mitgebracht und aufgebaut.« Er streift den weißen Overall ab und schließt einen großen Gerätekoffer.
»Ein harmloses Gerangel, ein unglücklicher Sturz auf die Krippe …« Auf der Stirn des Kommissars bildet sich eine senkrechte Furche, als er mich ansieht. »Und keiner weiß mehr, wie das Ganze angefangen hat?«
Die Rückleuchten des Leichenwagens werden zu immer kleineren roten Punkten, bis das Schneetreiben sie verschluckt. Die Menschen machen sich zu Fuß auf den Weg, ziehen in das Dunkel der Nacht hinaus, tragen ihre Last ein weiteres Jahr, wie die Tannen jetzt den schweren Schnee auf den Zweigen.
Der Kommissar dreht mich ein letztes Mal zwischen seinen Händen. Ein Schmunzeln umspielt seinen Mund. »Hundertzwanzig Zeugen können nicht lügen, nicht wahr, Josef?« Dann stellt er mich zurück in die Krippe, neben Maria und das Jesuskind. Sein Griff ist sanft. Ganz anders als Antons hartes Zupacken. Es hat sich genauso angefühlt wie damals, als seine schwieligen Finger sich zum ersten Mal um mich geschlossen haben.
Jesus lächelt mich an. Wahrscheinlich hätte ich genauso wie Anton gehandelt. Der Sohn, den man großzieht, das ist doch der eigene, sozusagen aus demselben Holz geschnitzt. Der ist doch heilig. Für ihn kämpft man. Sogar, wenn der Blutsvater der Herr ist.
Editorische Notiz
Der Krippenbau hat im Südschwarzwald eine lange Tradition und in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende Renaissance erfahren. Jahr für Jahr schmücken handgeschnitzte Krippen die weihnachtlichen Häuser, Kirchen und die berühmte Klosteranlage Sankt Trudpert im Münstertal. Berufskrippenbauer, wie der frei erfundene Anton einer ist, gibt es jedoch nicht. Die Münstertäler Krippenbauer sind heute eine lose Gruppe von Schnitzern. Ihre kunstvollen Figuren sind in Ausstellungen zu bewundern, bereichern den privaten Besitz des Freiburger Erzbischofs und wachen im Advent über den Chor des Freiburger Münsters.
Autorenvita
Petra
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