Maria, Mord und Mandelplätzchen
passieren.«
Über Bastians Wangen liefen Tränen. »Ich will nicht zu dem Mann.« Er presste seine kleine Faust auf seinen Mund.
»Du wirst es gut bei mir haben. Du wirst in eine Privatschule gehen, bekommst ein Klavier, jeden Tag Pommes und Schokolade, und zum Geburtstag kaufe ich dir ein Fahrrad und einen Computer und …«
»Nein!« Antons Augen wurden schmal.
»Du machst einen Fehler, Anton. Bei mir hat Bastian eine Zukunft. Ich werde ihn wie mein eigenes Kind behandeln.«
»Verpiss dich«, raunte die Bergfrau, und Irmgard begann zu weinen. Von einer Christbaumkerze tropfte Wachs auf den Steinboden. Plitsch, plitsch, leise, monoton.
»Was meinst du, Bastian?« Der Herr beugte sich zu dem Kind vor. »Magst du zu mir kommen? Wir suchen die beste Klavierlehrerin und das schnellste Rennrad und …«
»Will kein Rennrad.« Bastian barg den Kopf an Antons Brust.
Anton presste die Lippen aufeinander. »Warum gerade jetzt?«
»Aber Anton!« Der Herr hob die Hände. »Du bist am Ende! Haus und Werkstatt verfallen, die Angestellten gegangen … Das Wertgutachten liegt auf meinem Schreibtisch. Wusstest du das nicht? Von dem Erlös wirst du vielleicht«, er wiegte den Kopf, »ein Jahr zur Miete in einer Zweizimmerwohnung leben können. Und dann? Hartz IV ? Das wirst du Bastian doch nicht antun wollen!« Fast zärtlich strich er über den Scheck. »So viel Geld. Alle Probleme wären gelöst.«
Der Herr zieht die Hose hoch, nimmt den Wollmantel. In der Tür dreht er sich noch einmal um. »Ruf den Notarzt«, sagt er. Später, im Morgengrauen, kniet Anton noch immer auf dem Boden und wiegt seinen Oberkörper vor und zurück. »Es tut mir so leid, mein Schatz, das habe ich nicht gewollt«, und sein Gesicht glänzt nass im ersten, spärlichen Licht, »er hat dich vergewaltigt, ich wollte dir doch nur helfen.« Sein Unterkiefer zittert unkontrolliert, irgendwann schläft er ein, murmelt im Schlaf immer wieder »Nina« und »Ich habe es doch nicht gewollt, mein Schatz«. In der Luft hängt der Geruch teuren Parfums.
»Du trägst die Verantwortung«, sagte der Herr zu Anton. »Eure Zukunft liegt in deiner Hand.«
»Gehen Sie.« Antons Worte waren ein heiseres Flüstern.
Der Herr zuckte mit den Schultern, steckte den Scheck ein und erhob sich gelassen. »Dann muss ich mich wohl an die Behörden wenden. Und wir müssen noch ein wenig Geduld haben, nicht wahr, Bastian?« Er streichelte dem Kleinen über den Kopf.
Bastians dünner Körper wurde vom Schluchzen geschüttelt.
»Du musst nicht weinen. Du und ich, wir werden jede Menge Spaß zusammen haben. Und wir besuchen auch deine Mama.«
»Gehen Sie!« Antons Augen blitzten wie zwei frisch geschliffene Hohleisen.
»Deine Mama wird sich freuen, wenn du sie besuchst.«
Bastian drehte sich um, immer noch eng an Anton gedrückt. »Mama ist tot. Du lügst!«
»Tatsächlich?« Die Augen des Herrn wanderten zwischen Vater und Sohn hin und her. »Hat dein Papa das behauptet? Nun, das macht nichts. Wenn du erst einmal bei mir bist, in der Stadt, zeige ich dir, wo die Mama wohnt.« Der Herr lächelte. »Sie hat es schön, dort, wo sie ist. Ein kleines Zimmer mit Bett, ganz weiß gestrichen. So weiß wie die Kittel der Leute, die sie pflegen.« Sein Lächeln gefror. »Sie braucht dich. Du könntest sie füttern und ihr den Speichel vom Kinn wischen, sie kämmen und im Rollstuhl durch den Park fahren.« Er deutete mit dem Kopf zur Tür des Stalls, in die große Scheiben eingelassen waren. Es schneite. »Natürlich nur im Sommer.«
Ende August bringt Anton das Baby mit nach Hause. Ich bin einer der Letzten, die noch hinter der Werkbank stehen. Die Gesellen sind gegangen. Wenn der Junge schläft, arbeitet Anton in der Schnitzerei. Er redet vor sich hin und schnitzt Teufelsfiguren und Gnome. Sie tragen die Gesichtszüge des Herrn. Wenn sie fertig sind, zerschlägt er sie mit der Axt. Als er eineinhalb Jahre alt ist, steht der Junge plötzlich auf wackeligen Beinchen in der offenen Tür. Er lacht, laut und glucksend, wie Nina es immer getan hat. Anton dreht sich zu ihm. »Pa pa«, sagt Bastian. »Pa pa.« Anton fällt vor ihm auf die Knie, schließt ihn in die Arme, weint. Am selben Abend schließt er die Tür der Schnitzerei für immer ab.
Bastian blickte zu dem Herrn hinauf. Seine Wimpern waren verklebt. »Du lügst«, flüsterte er.
Der Herr klopfte mit der Hand auf seine Brust, dort, wo die Innentasche war. »Tut mir leid für euch mit dem Fest.« Er ging durch das
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