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Maria, Mord und Mandelplätzchen

Maria, Mord und Mandelplätzchen

Titel: Maria, Mord und Mandelplätzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stöger
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Nicht nur wegen des Parfums.
    Antons Unterlippe begann zu zittern.
    »Tut mir leid«, wandte sich Irmgard an den Herrn. »Für eine Restaurant-Verköstigung reicht unser Geld nicht.«
    »Aber uns reicht’s!« Wütend rollte Einbein-Schorsch ein Stück vom Tisch zurück. »Und der da«, er zeigte auf den Herrn, unter seinen Fingernägeln haftete Schmutz, »der gehört nicht zu uns!« Die Ader an seinem Hals pochte schneller.
    Irmgard hob entschuldigend die Hände. »Wir sind auf Sponsoren angewiesen.«
    »Was sind Sponsoren?«, fragte Bastian, während der Herr in aller Ruhe aß.
    »Sei still«, zischte Anton dem Jungen zu. Seine Hände ballten sich, und die Schwielen verschwanden in den großen Fäusten.
    Der Herr lehnte sich zurück und zog gelassen ein handgroßes Stück Papier aus der Innentasche des Mantels. »Sponsoren sind Leute mit Geld.« Er legte das Papier neben seinen Teller.
    Neugier, Misstrauen, Verachtung … In den Augen, die ihn ansahen, war alles zu lesen.
    »Leute«, fuhr der Herr fort und fixierte Bastian, »die diese Abende für dich und deine Freunde bezahlen. Für deine«, er zwinkerte mit einem Auge, »Familie.« Mit seinen manikürten Fingern strich er über das Papier. »Dir gefällt es doch hier, Bastian, nicht wahr?« Seine Mundwinkel hoben sich, doch in seinen Augen spiegelte sich Gleichgültigkeit. »Das ist ein Scheck, Bastian. Wisst ihr«, fragte er in die Menge, »was ein Scheck ist?«
    »Was soll ’n das werden? ’n Almosen?«, blaffte Zottel, und seine Augenbrauen krümmten sich wie zwei dick behaarte Raupen. In seinem Bart hing ein Salatblatt.
    Ein Stuhl schrammte über den Steinboden. Gemurmel erhob sich. Mädel knurrte. »Eingebildetes Arschloch«, raunte jemand.
    »Wenn ich den«, der Herr hielt das Dokument hoch, »unterschreibe, ist es besiegelt.«
    »Is was besiegelt?« Das Salatblatt fiel herab.
    »Euer Heiligabend.« Mit einer Armbewegung umfasste er den Stall. »Edler Wein, Feinschmeckermenü, Geschenke. Auf Lebenszeit.« Einen nach dem anderen schaute er die Männer und Frauen an: Zottel, die Alte mit dem Gesicht wie der Faltenwurf eines schlecht gegerbten Ledermantels, Spritze mit den zerstochenen Armbeugen und blutunterlaufenen Augen, Einbein-Schorsch, Schwarzzahn, die Bergfrau, Anton und Puppe, die Jugendliche, die als Einzige Wimperntusche aufgetragen hatte, viel zu dick und viel zu schwarz, und die ein hautenges Top und einen Minirock trug, an dem sich eine Naht auflöste. »Hat jemand etwas dagegen einzuwenden?«, fragte der Herr freundlich.
    »Bist du ein Sponsor?« Bastian sprang von Antons Schoß herunter und stellte sich mit großen Augen vor den Herrn. »Kriege ich dann ein Klavier?« Er zeigte auf den Karlis, der ganz in sein Spiel vertieft war, fast so, als sei er mutterseelenallein in dem Stall und die Menschen nur weihnachtliche Dekoration.
    »Natürlich, mein Junge.«
    Familie. Sponsor.
Am liebsten hätte ich laut aufgelacht.
    Da setzte sich der Mann in diesen Stall, bei Kartoffelsalat, Braten und saurem Wein, während bei ihm zu Hause wahrscheinlich tagtäglich fünf Gourmet-Gänge und Champagner aufgetischt wurden. Ich wusste genau, was es bedeutete, nichts zu besitzen. Und wie gut es tat, diesen Abend mit Schicksalsgenossen zu verbringen. Für ein paar Stunden eine große, ja, heilige Familie zu sein, sich alle Sorgen zu teilen, das warme Essen und sogar die kleinen Geschenke, die unter dem Christbaum warteten – alles gespendet von einem anonymen Wohltäter, seit dem Jahr, in dem wir zum ersten Mal hierhergekommen sind: Anton, mit Bastian in dem Tragekorb, und ich.
    Ich ahnte, was kam. Jedoch nicht in der gesamten Tragweite.
    Also liebt Gott die arge Welt,
spielte Karlis.
    Könnte ich die Menschen nur warnen. Doch wer war ich schon, der ich tagein, tagaus in Antons Werkstatt gestanden und es schon damals nicht geschafft hatte, das Verhängnis abzuwenden.
    Stumm verharrte ich auf meinem Platz, sah ihn vor mir, wie er das erste Mal bei uns erschien.
    Es ist Mitte November. Hochkonjunktur. Der Herr schlendert durch die Schnitzerei. Die größte im Südschwarzwald, eingebettet zwischen bewaldeten Hügeln und Ziel zahlreicher betuchter Kunstliebhaber. Die Klüpfelschläge, mit denen die Gesellen ihre Balleisen in die groben Scheite treiben, erzeugen ein rhythmisches Hämmern.
    Es riecht nach Harz und Leim.
    Anton zeigt dem Herrn die Krippenfiguren; erklärt, dass sich Eichenholz für Außenfiguren am besten eignet, aber Jahre braucht, bis eine

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