Maria, Mord und Mandelplätzchen
Sie klingt erschüttert.
»Nein, schreiben kann er auch nicht mehr. Gar nichts. Ich glaube, ich fahre gleich zum Arzt mit ihm.«
Freu dich, du Arschloch. Ich kann dich nicht verraten.
»Also nochmals vielen Dank, dass Sie nach ihm gesehen haben.«
Die Maske geht zurück zu seinem Wagen.
Eva wischt mir mit einem Taschentuch übers Gesicht.
Macht mir auf die Türen, lasst mich nicht erfrieren …
Er fährt rückwärts aus der Parklücke.
»Du machst vielleicht Sachen, Papa. Du zitterst ja am ganzen Körper.«
Er fährt los. Mit der jungen Frau hinten drin. Eva macht das Radio aus.
»Wir fahren direkt zum Doktor. Wein doch nicht, Papa. Das ist bestimmt die Aufregung, wegen Weihnachten und so.«
Der Smart steht unbeeindruckt an seinem Platz.
»Schau mal, da hat jemand seine Tüte verloren.«
Ich möchte sterben.
»Hör mal, Papa – das glaubst du nicht.«
Will nichts hören, will nichts glauben.
»Gestern auf dem Edeka-Parkplatz, erinnerst du dich?«
Allerdings. Bis an mein Lebensende. Meine Augen werden schon wieder feucht.
»Da war doch so ein Weihnachtsmann, der mit uns geredet hat. Der sich Sorgen um dich gemacht hat.«
Mein Herz beginnt zu pochen.
»Der hat eine Frau entführt. Auf dem Parkplatz. Stell dir mal vor – wir hätten das fast mitgekriegt.«
Mein Herz pocht wie verrückt. Was ist los?
»Er ist in eine Geschwindigkeitskontrolle geraten, und die Polizei hat den Wagen überprüft. Dabei haben sie die Frau entdeckt.«
Mein Gesicht ist jetzt tränenüberströmt.
»Aber Papa, warum weinst du denn jetzt? Sie haben sie doch gefunden.«
»…«
»Papa – was ist denn nur? Wart mal. Hast du gestern … warst du deswegen?
O Gott!«
Autorenvita
Maria Erfurth lebt seit nunmehr 30 Jahren mit ihrem Mann (und seit 23 Jahren mit dem gemeinsamen Sohn) in einem kleinen Dorf auf der Baar.
Die gelernte Heilpädagogin verbindet mit dem Schreiben vor allem die unbändige Lust zu beobachten, daraus viele (falsche) Schlüsse zu ziehen und manche Dinge davon aufzuschreiben.
Und der Schnee rieselt leise
ist ihre erste Veröffentlichung.
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Petra Busch
Die Erscheinung des Herrn
Im Münstertal
An meinen Händen klebt Blut. Das Blut des Herrn.
Der Polizist sieht mich an und schüttelt den Kopf. Dabei hatte ich mich so sehr auf ein paar Stunden im Schoß der Familie gefreut.
Außer dem Kommissar und einem Kriminaltechniker ist kein Mensch mehr hier, in dem ehemaligen Stall am Saum des dunklen Tannenwaldes, der sich die Berge hinabzieht. Dort, wo wir uns Jahr für Jahr versammeln und wohin Anton mich immer mitnimmt, um den Heiligabend mit denen zu feiern, die weniger besitzen als das Jesuskind in der Krippe. Die Polizei hat sie hinausgeschickt, in die Kälte der Weihnachtsnacht: Einsame, Obdachlose, Arme, Alte und Kinder. Auch die freiwilligen Helfer sind fort, die Kerzen gelöscht, die Punschgläser umgestoßen. Tische und Stühle bilden ein einsames Durcheinander. Ich weiß nicht, ob ich je wiederkommen werde. Doch das hat keine Bedeutung. Denn die anderen werden wiederkommen. Nächstes Jahr, übernächstes, das Jahr darauf … Jeder Einzelne. Das ist das Wichtigste.
Er war kurz vor halb acht Uhr gekommen. Als sich die Holztür öffnete und die eisige Luft für Sekunden den süßen Duft von Punsch und Tannenreisig durchschnitt, waren zwischen dem alten Mauerwerk und den Holzbalken längst alle Tische besetzt. Stimmengewirr und Lachen erfüllten den liebevoll ausgebauten Stall und vermischten sich mit den scheppernden Klängen des Klaviers, an dem wie immer der junge Karlis aus Lettland saß. Er verstand kein Wort unseres Alemannischen, spielte aber alle deutschen Weihnachtslieder mit Inbrunst. Ein paar Kinder tollten um den großen Christbaum, der mit Äpfeln, Strohsternen und Kerzen geschmückt war. Daneben, in der großen, handgeschnitzten Krippe, wachten Maria und Josef über das Jesuskind im Stroh.
»Noch eine Waffel mit Vanillesoße, Bastian?«, fragte Irmgard, eine Helferin, den Jungen, der neben dem Pianisten stand. Bastian war gerade so groß, dass er auf die Tasten sehen konnte, und klapperdürr. Doch seine Stimme erfüllte in weichen, vollen Tönen den Raum. Anton, sein Vater, strahlte vor Stolz.
»Ja-ha-ha-haaa«, intonierte Bastian zur Melodie von
Stille Nacht.
»Ich auch noch eine«, sagte die Bergfrau schmatzend und zeigte auf das letzte, herzförmige Waffelstück auf ihrem Teller. Sie saß zwischen Schwarzzahn und Anton, war über zwei Meter groß, in
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