Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
es ist vor allem Rosemaries Lächeln, das in Miriam ein Gefühl von Neid auslöst, für das sie sich sofort schämt. Joes Frau sieht einfach wirklich glücklich aus. Noch nie in ihrem Leben hat Miriam auf irgendeinem Foto so strahlend ausgesehen, nicht einmal als Kind. Es muss für den Cowboy entsetzlich gewesen sein, all das zu verlieren. Miriam weiß nur, dass Mutter und Kind bei der Geburt gestorben waren, weil im Krankenhaus etwas schiefgegangen war, und der Cowboy immer noch nicht darüber hinweg ist.
Miriam erinnert sich an den Moment, als sich beim Tischgebet vor dem Abendbrot ihre Blicke kreuzten. Seine Augen waren wie erloschen, wie bei einem verzweifelten Tier hinter Käfigstäben, das sich schließlich aufgegeben hat. Er sollte den berühmten Schlussstrich ziehen, und Miriam denkt an die Buddhastatue, die sie als Kind von ihrer Mutter bekommen hat. Dann macht sie die kleine Lampe über dem Küchenherd aus und lächelt still vor sich hin. Was ihr heute am Cowboy gefallen hatte, war die Art, wie er auf der Rückfahrt zum Hof Bene auf dem Schneepflug in seinem Arm hatte. Miriam saß in eine Decke gewickelt hinten, und vorne haben der Mann und der Junge bayerisch miteinander geredet wie alte Freunde. Über Miriams langes Fortbleiben oder ihr Verlaufen im Wald hat er kein einziges Wort verloren, was sie ihm hoch anrechnet, als sie mit zufriedenem Lächeln zu der warmen Anna-Sophie ins Bett klettert.
Der Adventssonntag sollte für Miriam nach ihrem samstäglichen Gewaltmarsch Entspannung pur sein, so verkündet Joe auf sanft autoritäre Art beim Frühstück seinen Eltern. Miriam widerspricht nicht. Die Ruhe wird dem Baby guttun und ihr sowieso. Deshalb liest Miriam, spielt vor Hillas köstlichem Mittagessen mit den Kindern Mensch-ärger-dich-nicht und legt ermattet die Füße hoch, bis nachmittags auf dem Einödhof das Telefon klingelt. Die Diva aus dem Altenheim will mit Miriam sprechen, um mit ihr das Weihnachtsrepertoire durchzugehen. Obwohl Miriam sich sehr gut vorstellen könnte, gar nichts zu tun, bis am Abend Gäste kommen, sieht sie schnell ein, dass dringend geprobt werden muss, wenn Miriam ihre neue Aufgabe wirklich ernst nimmt.
Joe ist sichtlich genervt davon, dass er aus heiterem Himmel am Sonntagnachmittag mit Miriam Weihnachtslieder proben soll. Aber Joe ist ohnehin mit einem Mal gereizt. Das Wochenende bei seinen Eltern entwickelt sich in eine Richtung, die ihm unheimlich ist. Hilla hat Miriam und die Kinder inzwischen für die gesamten Weihnachtsferien eingeladen, aber bestimmt, dass Joe am Montag in aller Früh die hundert Kilometer nach München fahren muss, sodass Bene am letzten Schultag in seiner Klasse anwesend sein kann. Auch Anna-Sophie will unbedingt beim Krippenspiel im Kindergarten auftreten, sodass sie am Montag alle in die Stadt fahren werden. Doch danach hat Hilla es sich zur Aufgabe gemacht, die kleine Familie über die Ferien auf dem Stadlerhof zu verwöhnen. Nachdem Joes Mutter von Miriam die genaueren Umstände ihres Elends erfahren hat, ist zwischen den beiden Frauen einiges geschehen. Joe spürt, dass sich den Sonntag über etwas Grundlegendes verändert hat, denn auch seine Diventante hat mit einem Mal kräftig ihre Finger im Spiel. So schräg und sonderbar, wie Tante Sigrun zeit ihres Lebens gewesen ist, hat sie seit nunmehr einem halben Jahrhundert familiär fest die Fäden in der Hand. Joe bemerkte mit wachsender Unruhe, wie sich die Schwestern nach der Frühmesse am Sonntag in Sachen Miriam solidarisierten, und wusste sofort, dass sein Widerstand zwecklos sein würde. Was auch immer sich Mutter und Tante in der Vergangenheit in den Kopf setzten, sie hatten immer auch Wege gefunden, ihre Pläne umzusetzen. Angeblich ist es Miriams großes musikalisches Talent, das die Tante überzeugt, aber Joe wittert Schlimmeres. Über die Jahre hatten Sigruns Kuppeleiversuche ihm eine japanische Cellistin aus dem Mozarteum beschert, die noch Jungfrau war, aber auch eine handfeste Altenpflegerin aus Kroatien, die nebenbei Hackbrett spielte. Einige Kandidatinnen wurden Joe sozusagen ins Bett gelegt. Er ist nun einmal der einzige Hoffnungsträger für Nachwuchs. Aber wie verzweifelt müssen Mutter und Tante inzwischen sein, wenn man eine Frau mit drei Kindern für passend hält? Zweifelt man innerfamiliär an seiner Zeugungskraft oder gar an seiner Potenz?
»Ist es dieses Lied, das wir zuerst üben sollen?«
Miriams Frage reißt den Cowboy jäh aus seinen unruhigen Gedanken, denen er
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