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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Joens
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der feinen Schneekristalle weg, der sich in seinen Wimpern verfangen hat. Nirgendwo im Tal ist jetzt noch Sonne, die Schneewolken hängen tief und nehmen die Dämmerung vorweg. Es beginnt dunkel zu werden. Mit einem Mal hat der Junge wieder seine alte Angst. Was würde passieren, wenn auch Miriam sich mit dem Baby wohler bei Mama und Papa auf der Wolke fühlen würde als bei Anna-Sophie und ihm? Niemand würde Miriam da oben Sachen sagen, die ihr wehtun, und sie müsste nie wieder Essen für seine Schwester und ihn stehlen. Mit einem Mal fröstelt der Junge.
    Joe nimmt an, dass es die zunehmende Kälte ist, die den Jungen näher an ihn heranrücken lässt, denn die modernen Fasern der Kinderjacke, die angeblich gut isolieren, sind eben doch keine ehrliche Wolle. In seiner alten Filzjacke ist Joe so warm, dass die Temperaturen leicht um weitere zehn Grad abkühlen könnten. Im Moment ist es ohnehin maximal zwei Grad unter null, aber Bene bibbert, als wären sie in der Antarktis. Automatisch legt Joe seinen Arm um den Jungen.
    »Deine Zähne tanzen ja Eisballett!«
    »Meine Füass san eisig. Da is a Schnee rein.«
    Joe fasst es nicht, dass der Junge bayerisch spricht.
    »Ja, seit wann sprichst jetzt du meine Sprache? Oder muss es dafür einfach nur unter null sein?«
    Bene versucht zu lächeln, aber das Bibbern ist stärker.
    »Scho seit imma! In der Schui hob i zwoa Freind aus Rosenheim, die hams ma beibracht. Des war immer unsre Geheimsprach. Aber i koas net so richtig. I tu nur a so … und vor den Erwachsenen, da sprech ich’s normal gar net. In der Schui ham ma des a gar net derft!«
    »Des hams da aber ganz gut beibracht, deine Freind, die Rosenheimer! Du klingst fast wie a Echter!«
    Bene lächelt über das Lob. Von ihm aus könnte diese Fahrt ewig so weitergehen. Angenehm ehrlich kratzt der raue Filz von Joes Jacke an Benes Wange, und das Knattern des Diesels klingt wie ein warmer Bollerofen. Er sitzt so nah an der Seite des Cowboys, dass der Hauch ihrer beider Atemwolken zusammenschmilzt, als Joe mit einem Mal in Richtung einer Gruppe Bäume zeigt.
    »Siehst, da drüben, bei der Schneise, da ist der Wanderweg, der im Sommer zur Alm raufgeht. Da könnt’s falsch abbogen sein, die Miriam.«
    Der Junge kneift die Augen zusammen und versucht, in dem dichten Schneegestöber den Weg zu erkennen, den der Cowboy ihm zeigt. Aber er sieht nur Bäume mit Schneepudelmützen, die nicht mehr weiß sind, sondern in der beginnenden Dunkelheit mit dem Hang zu einem fahlen Blaugrau verschmelzen.
    Es ist die Stille unter dem mächtigen alten Baum, die Miriam an eine kleine Statue aus Sandelholz denken lässt, die sie von ihrer Mutter zu ihrem zehnten Geburtstag bekommen hatte. Ein kindlicher Buddha hielt seine Hände lächelnd über dem Kopf erhoben, um seine leeren Handflächen zu zeigen. Auf dem begleitenden Kärtchen hatte ein Spruch gestanden, der Miriam selbst mit zehn eingeleuchtet hatte. Wenn man loslässt, hat man beide Hände frei. Es war um ihren Vater gegangen, den Miriam in ihrer Vorstellungswelt zu einer Art verwunschenem Prinzen hochstilisiert hatte, der sie eines Tages holen würde, am besten rechtzeitig vor dem Abwasch, den Miriam mit ihrer Schwester nach dem Abendessen immer machen musste. Loslassen ist wichtig.
    Miriam macht sich erneut auf den Weg, denn jetzt wird es schnell dunkler, wie sie mit einer gewissen Sorge feststellt, und sie hat Durst. Wieder wühlt Miriam in ihrer Handtasche, nur um feststellen zu müssen, dass sie nichts zu trinken dabei hat. In den letzten Monaten hatte sie streng darauf geachtet, immer eine Flasche mit Wasser in ihrer Tasche zu haben, denn Wasser kostet nichts, und das Münchner Leitungswasser hatte ihr immer geschmeckt. Weil sie sich nicht das in der Schwangerschaft empfohlene Biogemüse leisten konnte, hat sie mit dem vielen Wasser ihr Gewissen beruhigt, aber auch frisch geschmolzener Schnee soll gesund sein, wie sie einmal in einem Artikel über tibetische Medizin gelesen hat. In ihrer Hand lässt sie den ersten Schluck schmelzen, während sie sich ein paar Schritte durch den Schnee quält. Miriam hat auch langsam einen Bärenhunger. Da sie nicht damit gerechnet hat, so lange vom Hof fort zu sein, hat sie nicht besonders viel gefrühstückt, und ihr Magen macht sich durch forderndes Knurren bemerkbar. Um sich zumindest mit einem vergessenen Bonbon oder einem halben Traubenzucker zu stärken, stülpt sie ihre Umhängetasche von innen nach außen. Ihre leere Brieftasche

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