Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
die Notenblätter ordnet. Am liebsten würde sie vor Scham in Grund und Boden versinken und hofft, dass Joe mit dem Pfarrer aus der Kirche gehen wird, damit sie schnell ungesehen zurück zum Hof gehen kann.
»Frau Bechow! Kommen Sie einmal?«
Der Pfarrer winkt in ihre Richtung, während Joe zurückkommt, um seine Gitarre ins Futteral zu packen. Sie haben fürs Erste genug geprobt. Als Miriam langsam aufsieht, wirft der Cowboy ihr einen belustigten Blick zu und flüstert: »Sind es die Hormone vor der Geburt? Hast du dich deswegen nicht mehr unter Kontrolle?«
Als sie kurze Zeit später aus der Kirche kommen, ist Miriam immer noch wütend.
»Na gut, dann sind es eben meine Hormone! Ich hab dich umarmt, um mich kurz mal wieder bei einem Mann geborgen zu fühlen! Da ist doch nichts dabei, oder? Bin ich dir wirklich so peinlich, du Möchtegern-Jimmy-Hendrix?!«
Aber Joe schießt genauso sauer zurück.
»Das ist peinlich! Das ganze Dorf wird denken, dass du und ich was miteinander haben! Jeder wird sagen, dass das Kind von mir ist!«
Wütend funkelt Joe sie an, und insgeheim findet Miriam, dass er recht hat, und schweigt betreten. An ihrer Undiszipliniertheit ist ihre Nase schuld. Ihr ausgeprägter Geruchssinn ist einfach ihre Schwachstelle. Sie kann sämtlichen Rasierwassern und Aftershaves problemlos widerstehen, aber Joes Geruch ist eine zu große Versuchung. Der Cowboy bleibt vor dem Kirchenportal mit seiner Gitarre stehen, weil sein Handy eine Nachricht anzeigt, die er Miriam erstaunt hinhält.
»Unsere Band soll am Montag in einem Einkaufszentrum für kranke Kollegen einspringen. Die wollen uns mit Sängerin …«
Schon klingelt Joes Handy. Er geht dran, und Miriam hört überrascht, wie Joe ganz selbstverständlich anbietet, dass Miriam mit dem Chiemgauer Trio auftreten wird.
Miriam will gerade energisch Einspruch erheben oder zumindest an ihre fortgeschrittene Schwangerschaft erinnern, als sie ganz in ihrer Nähe ein Schnauben hört. Miriam erstarrt. Ein wild gewordener Stier würde ihr an diesem Tag gerade noch fehlen. Hoffentlich kommt das Schnauben von einer der friedlichen Kühe, die Miriam auf dem Weg ins Dorf in den Ställen hat stehen sehen. Vorsichtig sieht Miriam sich um. Der dichte Winternebel hat sich über die Dorfstraße gelegt, sodass man kaum fünfzig Meter weit sehen kann. Wieder schnaubt es, diesmal noch näher. Es kommt von hinten. Um nicht von den spitzen Hörnern eines ausgerissenen Stieres überrascht zu werden, dreht Miriam sich rasch um – und erstarrt mitten in der Bewegung. Kaum fünf Meter entfernt von ihr steht mitten auf der Straße ein einsames Kamel. Am Halfter hängt ein loser Strick, aber sonst ist weit und breit niemand zu sehen. Miriam wagt lediglich ein vages Flüstern in Joes Richtung.
»Joe? Hilfe!«
Aber Joe ist inzwischen auf der anderen Seite der Kirche mit seinem Gespräch beschäftigt und ahnt noch nicht einmal, was für Todesängste Miriam beim Anblick des riesigen Tieres durchsteht. Festgefroren bleibt sie stehen, denn sie weiß nichts, aber auch rein gar nichts über den Umgang mit Kamelen. Ohne den Blick auch nur eine Sekunde von dem zotteligen Ungetüm abzuwenden, das sie mit seinen Augen zu mustern scheint, weicht sie millimeterweise zurück. Natürlich weiß Miriam, dass Kamele Vegetarier sind, aber das sind Stiere auch. Und die gelben Riesenzähne, die aus dem Unterkiefer des Tieres hervorragen, sehen sehr aggressiv aus. Verzweifelt flüstert sie erneut.
»Joe! Komm bitte mal her …«
Aber er kommt nicht. Stattdessen hört Miriam, wie Joe jemanden begrüßt, wagt aber nicht, dem Tier eine Sekunde lang den Rücken zuzudrehen, denn es scheint sie jetzt neugierig zu mustern. Zudem hat es einfach gewaltige Füße, und Miriam ist sich nicht sicher, ob das Kamel schreckhaft ist und sie vielleicht tottrampelt, wenn es aus Angst losgaloppiert. Joe scheint ihr panisches Flüstern noch immer nicht gehört zu haben, denn die Begrüßungszeremonie geht hinter ihrem Rücken endlos weiter. Erst nachdem der Dorfklatsch abgehandelt ist, kommt Joe in aller Ruhe mit seinem Freund zu Miriam rüber, so als wäre es normal, dass nur wenige Meter vor ihr ein Kamel steht. Joe lächelt ahnungslos.
»Ich möchte dir meinen Freund und Schwager vorstellen. Alembusch ist der Mann von der Magdalena, der Schwester meiner verstorbenen Frau Rosemarie. Und das ist Miriam, eine neue Freundin.«
Mit lässiger Selbstverständlichkeit nimmt der Cowboy das Kamel am Strick und drückt
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