Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
gebraucht. Anna-Sophies zweiter Wunsch wäre wieder eine echte Familie, aber dazu fehlt ihnen noch ein Papa. Sie selber würde den Cowboy heiraten, aber sie ist zu klein. Gut wäre auch, wenn der Cowboy die Miriam zur Frau nehmen würde. Das wäre dann eine richtige Familie. Anna-Sophie hatte deswegen Hilla gefragt, und daraufhin hat die nette Oma ein ziemlich geheimnisvolles Gesicht gemacht. Dann hat sie ihr ein ganz bestimmtes Märchen vorgelesen. In der Geschichte sitzt eine fette Kröte, die nichts und niemanden durchlässt, vor einem Schatz. Vor dem Herzen des Cowboys sitzt auch eine Kröte, nur ist sie wunderschön, altert nicht einen Tag und feiert heute Geburtstag. Tante Miriam, die das Märchen auch mit angehört hat, ist bei der Erwähnung von Rosemaries Namen plötzlich ganz schnell nach oben in ihr Zimmer gegangen.
Miriam steht am Fenster und sieht in die beginnende Nacht. In der Hand hält sie den letzten Brief des Jugendamtes, den sie seit einer halben Ewigkeit in ihrer Handtasche mit sich herumschleppt. Sie hat ihn sich gerade noch einmal durchgelesen, um auch wirklich zu verstehen, was sie in letzter Konsequenz mit ihrer Schwangerschaft bei Bene und Anna-Sophie anrichtet. Die beiden werden in neue Familien kommen, was ja vielleicht auch bereichernd sein könnte, so wie es hier bei Joes Eltern durchaus spannend ist, Neues zu erfahren. Aber es werden nie wirklich die Familien von Bene und Anna-Sophie sein. Niemand wird die Geburtstage von Carola oder Wassili mit den Kindern feiern, nachdem man sie in getrennten Familien untergebracht hat. Man setzt in solchen Fällen auf das kindliche Vergessen , hatte die Frau vom Jugendamt es ausgedrückt, als von den Pflegeeltern die Rede war. Eine Hand legt sich sanft auf Miriams Schulter. Sie sieht zu dem Jungen hin, der leise in ihr Zimmer gekommen ist. Von Tag zu Tag wird er seinem Vater ähnlicher. Bene ist gekommen, um sie etwas zu fragen.
»Oma Hilla lässt fragen, ob du auch ganz sicher bist, dass Joe nicht mit uns essen wird.«
»Ziemlich sicher. Er wollte zu seiner Schwägerin und dann noch zu seiner Band in die Stadt.«
Bene sieht Miriam fragend an. Er spürt an der Art, wie seine Tante seinen Blick meidet, dass etwas nicht in Ordnung ist. Seine Stimme ist leise.
»Du machst dir Sorgen, nicht wahr?«
Schnell versucht Miriam, den Brief vom Jugendamt vor ihm zu verstecken, aber Bene weiß ohnehin, was seine Tante so furchtbar bedrückt, dass sie ihm nicht einmal in die Augen sehen kann. Es ist das Baby in ihrem Bauch, wegen dem sie sich so furchtbar schuldig fühlt, dass sie es mit einem Mal aussprechen muss.
»Zu dritt hätten wir es geschafft …«
Bene sagt nichts, sondern legt still seinen Arm um Miriam und sieht mit ihr in die dunkle Nacht hinaus.
Joe sitzt inmitten von einem Kerzenmeer im Schneidersitz auf dem Boden in der Stube eines der ältesten Höfe des Dorfes, des Hofes, der halb umfunktioniert ist zu einem Stall für Kamele. Sein Bierglas kippt. Der Inhalt ergießt sich über seine Hose. Magdalena, Alembusch, ihre drei halbwüchsigen Kinder und ein halbes Dutzend neue Familienmitglieder aus der nördlichen Sahara, die Joe noch nie zuvor gesehen hat, eilen zu Hilfe. Zwei Frauen fallen Joe ganz besonders auf. Die Hand der einen ist mit Henna bemalt, als sie Joe, kichernd über sein Missgeschick, als Erste ein Geschirrtuch reicht.
»Danke … wirklich. Vielen Dank.«
Von vielen neugierigen Augen beobachtet, wischt Joe möglichst unauffällig das verschüttete Bier weg. Rosemaries Porträt steht vor ihm auf dem kleinen Tischchen, verziert mit einem geflochtenen Kranz aus Wintergrün, wie ein Schrein für eine Heilige. Davor liegen kleine Geschenke, liebevoll eingepackt, zwei davon tragen Joes Namen. Magdalena wischt mit einem stillen Lächeln den Rest Bier weg, während Alembusch ein frisch gefülltes Glas vor Joe hinstellt. Das auffällige Paar ist in seinen Vierzigern, beide Partner sind auf ihre Art traditionsbewusst in ihrer Kleidung, die dunkle Magdalena im klassischen Winterdirndl mit ergrauendem Zopf, der ihr bis auf die Hüfte reicht, und Alembusch wie immer in der Tracht seiner Heimat. Nur trägt er in seinen eigenen vier Wänden den Turban legerer, sodass man Mund und Nase sieht. Alembusch übersetzt zwischen den Welten, denn seine frisch eingetroffenen Landsleute sprechen lediglich französisch oder ihre Nomadensprache Tamajek. Joe packt die Neugierde, denn so viele Besucher aus der Sahara hat er noch nie bei dem Paar gesehen.
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