Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
sie ihr auf, was die Frauen im Dorf mit vereinten Kräften alles in Bewegung setzen könnten, sollte es Miriam wirklich ernst meinen mit ihrem Wunsch, sich mit ihren drei Kindern hier im Dorf anzusiedeln.
Das laute Hupen eines tschechischen Lasters schreckt Joe aus seinen Gedanken. Er war gerade weit weg, genau genommen in der Sahara. Sein Geschenk, die wilden Klänge der neuesten Bands der nördlichen Sahara, haben ihn einen Moment lang vergessen lassen, dass er auf der Salzburger Autobahn ist, wo es nachts rau zugeht. Joe ist müde. Er schleicht sich auf die äußerste rechte Spur. Sein Blick fällt auf den Beifahrersitz, wo das Amulett des Marabut liegt. Vorsorglich hängt er das magische Ledertäschchen an den Rückspiegel über die schwingende Madonna, deren gewölbter Bauch zu den Klängen der Sahara wippt. »Miriam, Miriam, Miriam«, summt er zu den Klängen vor sich hin. Doch dann sagt er wie aus dem Nichts: »Miriam und Rosemarie zusammen auf der Wolke.« Er erschrickt. Ist es das? Hat er Angst, dass sie ebenfalls bei der Geburt sterben wird?
»Na, also wirkli net! Ich mein, dem Joe zuliebe, und alles was recht ist, aber i komm doch net extra aus meiner Wirtschaft zur Chorprobe, um so an Schmarrn zu singen. Was ist des … russisch?«
Schorsch ist aus der müden Truppe Kirchenchor, die aus einigen Dorfbewohnern besteht, hervorgetreten, hält Miriam vorwurfsvoll das Notenblatt hin und dreht sich zu den anderen um.
»Was moant jetzt ihr?«
Es ist kalt in der Kirche, und es ist spät. Der Rest des Chors, unter ihnen Magdalena und Hilla, scharrt unruhig mit den Füßen. Miriam weiß, dass es jetzt darauf ankommt, alle zu überzeugen. Deshalb tut sie das Einzige, was ihr sinnvoll erscheint: Sie beginnt, ihr Lied zu singen.
Fassungslos steht Joe mit Conni und Bärli vor der Leuchtreklame an der Straßenbahnhaltestelle, an der vor zwei Tagen noch ein thailändischer Strand gelockt hat. Die Reklame hat gewechselt. Rudis überlebensgroßes Gesicht mit Weihnachtsmannmütze und Querflöte ist von hinten erleuchtet und strahlt eine überirdische Freude aus, die in drei bevorstehenden Weihnachtskonzerten als heilende Energie aus den Sphären angepriesen wird. Eins der Konzerte ist bereits am kommenden Tag, und Rudis CD ist ab sofort überall käuflich, seelische Heilung inklusive. Joe gibt sich Mühe zu verdauen, dass Rudi ab jetzt ein Star ist, im besten Hotel der Stadt wohnt und nicht mehr im Männerwohnheim in München-Giesing. Joe kennt ihn seit zehn Jahren, und zwar nicht nur als gelegentlichen Übernachtungsgast, sondern vor allem als ehemaligen Alkoholiker, der es geschafft hat, trocken zu werden. Der Mann von ganz unten, der, durch ein göttliches Wunder gerettet, jetzt erleuchtete Weihnachtskonzerte gibt, um andere ebenfalls auf den heiligen Weg zu bringen, so lautet das Marketingkonzept, erklärt Bärli. Und nur weil Rudi seine alten Freunde nicht vergisst, dürfen sie mit der schwangeren Sängerin danach als Zweitband auftreten, weil die Liliputaner-Trommelgruppe die Grippe hat. Es wird Presse kommen, und vor allem wird Rudis neuer Musikproduzent dort sein. Der Mann soll nicht nur innere Größe haben, sondern vor allem die vollste Brieftasche, die Rudi seit Langem gesehen hat.
Wortlos vergräbt Joe sein Gesicht in den Kragen seiner Jacke. Sein Musikerego hat gerade die ultimative Ohrfeige bekommen.
Auch Miriam muss verdauen, was in der Dorfkirche nach ihrer verzweifelten musikalischen Darbietung geschah. Keine Buhrufe, keine faulen Eier, nur diese Blicke, die das alte Sprichwort bestätigen. Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht, auch nicht in gesungener Form. Das ungeduldige Scharren der Füße, gefolgt von der respektvoll geäußerten Frage auf Hochdeutsch, ob man nicht tagsüber weiterüben könnte, waren als Absage an ihr Lied deutlich genug. Miriam war danach, stumm neben Hilla im Auto nach Hause zu fahren, sie hat nicht reden wollen, sondern lieber nur aus dem Fenster gesehen und gesummt wie ein autistisches Kind. Völlig zum Affen hat sie sich gemacht, vor allem auch vor Joes Mutter, mit ihrer angeblichen Komponistinnenkunst.
In das Laken gewickelt, um ihre allabendlichen Waschungen vorzunehmen, überprüft Miriam die Temperatur des Wassers und erlaubt sich dabei probehalber den Gedanken an ihr völliges Versagen als Komponistin. Als Sängerin ist sie ohnehin maximal Mittelmaß, und talentlos zu sein hat schließlich auch Vorteile. Unendlich viele berufliche Möglichkeiten würden
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