Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
sich ihr von nun an auftun, lauter goldene Gelegenheiten, wie sie hierzulande auf eine Frau um die vierzig warten, die noch dazu eine Möchtegernmutter von bald drei Kindern ist. Miriam massiert nachdenklich die rechte Seite ihres Bauches, auf dem die Schwangerschaftsstreifen sich mehren und wie ein feines Straßennetz ihre Haut durchziehen. Wie sie es dreht und wendet, ihre Situation sieht nicht gut aus. Es gibt keinen Silberstreif am Horizont, und die Verzweiflung hat selten hübsche Seiten. Hundertfünfzig Euro im Monat bietet ihr Joes Tante, wenn sie den Chor auf Vordermann bringt, mal angenommen, sie wird im Dorf als musikalisch kompetent akzeptiert. Aber abgesehen von der lächerlichen Summe hat Miriam keine Ahnung, was sie während der Proben mit dem Baby machen soll. Selbst ohne Nachwuchs wäre es mit vierzig nicht leicht unterzukommen, aber sie könnte sich in Dresden wieder als Lehrerin oder Dramaturgieassistentin bewerben. In München hat sie alles versucht. Hier wird sie den Spielregeln der Behörden folgen müssen, sollte sie zumindest in der Nähe der beiden Kinder bleiben wollen.
Während Miriam sich sorgfältig abtrocknet, sieht sie in Hillas antiquarischem Herd einen Rest Glut in einem warmen Rot brennen. Sie geht näher, nimmt mit dem Haken die beiden inneren Ringe aus der Platte und nähert ihr Gesicht der Hitze. Könnte sie doch wegbrennen, was sie quält! Könnte sie all die verdammten Regeln den Flammen übergeben und sehen, wie sie im Feuer ihre Gestalt verändern, um zu etwas zu werden, das lebbar ist. Bene, Anna-Sophie und das Baby in einer sicheren Wohnung mit gut gefülltem Kühlschrank, umgeben von lieben Menschen, die mit ihnen zusammen Weihnachten feiern. Die Kleine in ihr regt sich. Miriam fällt ein, wie es war, als die Knospe der Christrose mitten durch den Asphalt brach und alle Ungetüme auf der Straße zum Stillstand brachte. Ist es möglich? Kann es Wunder geben?
Auf dem Tisch in der Stube steht jetzt Rosemaries Bild, auf ewig jung, schön und verliebt. Ob es Sinn haben könnte, Joes Exfrau um Hilfe zu bitten? Aber was dann? Miriam schlingt ihr Laken fester um sich. Sie tritt an die Fotowand, Sammelsurium Joes gelebter Familiengeschichte, und sieht sich die Gesichter an. Da ist die Krähenfrau Sigrun in jüngeren Jahren, wie sie die Brünnhilde auf Salzburgs Felsenbühne gibt. Zu ihren Füßen liegt der tote Siegfried, der Miriam ein wenig an den Cowboy erinnert. In Miriam steigt ein absurdes Bild hoch, Joe auf der Felsenbühne, als Siegfried verkleidet, und sie selber daneben als Brünnhilde. Natürlich hat sie sich verliebt in den Cowboy, aber das kann nicht gut gehen. Miriam hat einfach kein gutes Gefühl für Männer. Zu früh ist ihr der Vater abhanden gekommen, und selbst der hat nichts getaugt. Außer dem einarmigen Tenor gab es noch nie einen Mann, der auch nur halbwegs zu ihr gepasst hätte. Ihre Mutter und ihre Schwester waren sich darin immer einig. Miriam greift mit traumwandlerischer Sicherheit immer daneben. Aber wie würde der Fehlgriff diesmal aussehen? Miriam sieht sich das nächste Bild an Hillas Wand an. Rosemarie und Joe beim fröhlichen Duett in Lederhosen und Dirndl. Statt Rosemarie sieht Miriam sich in dem Bild als Hochschwangere mit Bene und Anna-Sophie an je einer Hand. Joe stellt sie sich plötzlich mit einem enormen Bierkrug vor, und schon beginnt ihre wilde Phantasie mit einer Schreckensvision davonzugaloppieren. Betrunken kommt Joe auf sie zu, fasst sich an sein in Leder verpacktes Gemächt und fordert im finstersten Urbayerisch weitere Kinder von ihr. Und zwar soll es am besten gleich eine halbe Fußballmannschaft sein.
»Dreihundert Euro?« Fassungslos sieht Joe seine beiden Freunde im Übungskeller an, denn mit dieser spontanen Großzügigkeit hatte er bei Conni und Bärli nicht gerechnet.
»Und ich soll’s ihr übergeben?«
»Ja, aber des Geld gibst du Miriam erst, wenn sie diesmal sicher in den Zug steigt und zurück zu ihren Leuten fährt. Sie soll für sich und die Kinder was Schönes kaufen.«
Bärli nickt bekräftigend, dann widmet er sich wieder seinem Instrument. Conni klimpert ohnehin schon seit einer Weile, schaut in eine andere Richtung, bis Joe das Geld weggesteckt hat. Miriams Schicksal geht Bärli nah, aber weder er noch Conni halten es für eine gute Idee, ihre Band mit einer Familie zu belasten. Da wären andere Bands viel besser geeignet, die selber Familien haben. Hin und her haben Joes Kollegen überlegt, aber sich
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