Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Trauer auch, egal, wie lange sie dauern mag. Aber durch Miriams plötzliches Auftauchen sind jetzt allerlei Gerüchte entstanden. Auch Schorsch setzt sich neben den Freund an den Stammtisch, um ja keine aufregende Neuigkeit zu verpassen. Allerdings gilt sein erster Gedanke seiner verstorbenen Cousine, die heute vierzig geworden wäre. Er prostet Joe zu.
»Auf unsere Rosemarie, die mit dir ein großer Star geworden wär’ …«
Schweigend trinken die Männer. Joe versucht zu lächeln, aber er spürt die unterschwellige Frage. Nach Rosemaries Tod hatte Joe seine ehemalige Band im Dorf, zu der auch Schorsch gehörte, verlassen und war in die Stadt geflohen. Der alte Zitherspieler Alois, inzwischen fast zahnlos, fasst es auf Dorfart zusammen.
»Irgendwann kummst zu uns zurück und machst wieda da bei unsrer Musi mit, gelt, Josef?«
Josef antwortet bayerisch diplomatisch, macht noch ein paar Scherze, wie es sich gehört, und stößt mit den Männern an. Doch dann steht er auf und überlässt die weiteren Prognosen dem Stammtisch, während Schorsch ihm noch ein Dunkles auf die Theke stellt.
»Was machst du für an Schmarrn … a Ostfrau schwängern?«
Das Grinsen des alten Freundes ist Provokation, und Joe versucht das Unmögliche, indem er Schorsch pfeilgerade in die Augen sieht, um sämtliche Gerüchte mit einem Schlag aus der Welt zu räumen.
»Des is net von mir, das Kind!«
»Sondern? Etwa vom Heiligen Geist …? Erzähl mir nix, Alter, wir gönnen’s dir ja, und zwar alle miteinand’! Aber du hättest sie ruhig scho eher herzeigen können …«
Bewundernd sieht Miriam die Zopffrisur an, die Hilla aus Anna-Sophies Haaren geflochten hat. Leicht abwesend hört sie sich dabei an, was alles an dem Nachmittag erlebt wurde, während Miriam mit Joe in der Kirche geprobt hat. Sie freut sich über die Lebhaftigkeit der Kleinen, aber sie hat auch Sorgen. Joe hat sie vorhin ohne ein weiteres Wort stehen lassen, nachdem er sie zum Hof zurückgebracht hat. Er müsse nachdenken, hat er gesagt, und war ins Wirtshaus gefahren. Miriam ist so überzeugt davon, mit ihrer spontanen Zuneigung in der Kirche erneut einen gewaltigen Fehler begangen zu haben, dass sie sich jetzt gar keine Illusionen macht. Deswegen will der Cowboy Miriam und die Kinder jetzt loswerden, und deswegen muss sie Anna-Sophies Begeisterung über Katze, Pferd und Plätzchenbacken drosseln, um die Enttäuschung abzufedern, die unweigerlich kommen wird. Spätestens nach den Weihnachtsferien müssen sie hier weg, wenn ihnen überhaupt noch so viel Zeit bleibt. Vielleicht hat man in München bereits begonnen, nach ihr und den Kindern zu fahnden. Spätestens nach den Ferien, wenn Schule und Kindergarten wieder beginnen und Bene und Anna-Sophie nicht auftauchen, ist ihre Zeit hier ohnehin vorbei. In Deutschland geht kein Kind verloren, das registriert ist. An Benes und Anna-Sophies Akte klebt bestimmt inzwischen ein fetter Vermerk mit der Aufschrift »Vorsicht, gewalttätige Tante, bitte mit Handschellen bändigen«. Ihr Aufenthalt in diesem Paradies ist lediglich eine Gnadenfrist, aber eine, für die Miriam trotz allem dankbar ist, vor allem wegen der bevorstehenden Geburt. Sie darf sich nur einfach nicht zu viel erhoffen. Sie hat Gefühle und der Cowboy eben nicht. Morgen früh wird er sie in die Stadt fahren, und vielleicht hat er vor, sie einfach irgendwo stehen zu lassen. Miriam hat bereits viel zu viele Fehler gemacht. Er hat ja recht. Ihre Bereitschaft, wegen der Kinder nach jedem noch so kleinen Strohhalm zu greifen, macht sie unglaubwürdig, und kein Mann hat Lust, sich benutzen zu lassen. Romantische Gefühle hin oder her, Miriam braucht den Cowboy oder, besser gesagt, sie würde ihn brauchen, wenn es möglich wäre. Joe wäre ein wirklich verlockender Anker für ihr sturmgebeuteltes Schiff, aber solche Wunder gibt es eben höchstens in den Märchen.
Das Mädchen sieht, dass Miriam schon wieder traurig lächelt und ihre Hand beruhigend auf die Stelle auf dem Bauch legt, wo das Baby wieder einmal um sich tritt. Auch Anna-Sophie denkt gerade über Märchen nach. Hilla hat ihr bereits einige aus dem schönen alten Buch mit dem Goldrand vorgelesen. Immer geht es im Märchen gut aus. Warum nicht auch im echten Leben? Wenn Anna-Sophie einen Wunsch frei hätte, dann würde sie sich ihre Eltern von der Wolke zurück in ihre Wohnung wünschen. Aber mit den Engeln ist das so eine Sache, wie Miriam ihr erklärt hat, denn sie werden sehr oft dringend im Himmel
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