Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
von alleine befreien kann. Die Hebamme sieht, wie die Frau vor schwarzer Energie glüht. Jetzt ist der perfekte Moment gekommen.
»Leg dich wieder hin! Jetzt.«
Diesmal ist Miriams linker Fuß dran. Wanda fühlt und sucht und drückt all die wunderbar präzisen Punkte, die sie seit fast vierzig Jahren kennt. Ihre Großmutter hat es ihr als junges Mädchen beigebracht. Tief verbindet sie sich jetzt mit dieser Frau in Not. Wanda kann gar nicht anders. Ihr Leben gehörte schon immer denen, die auf die Erde kommen wollen. Mit ihren Fingerspitzen erfühlt sie bei Miriam die negativen Energien. Zunächst stößt sie auf eine klebrige Lache von Selbstmitleid, der bei den Frauen so beliebten Opferfalle. Energetisch hält ein Monster Miriams wunderschönen Bauch wie mit einer eisernen Kralle umfangen. Angst und Wut, ineinander gewoben wie zwei gierige Schlangen, drücken auf die Lebensenergie, die ans Licht drängen will. Kein Wunder, dass diese Frau so wenig für das Baby fühlt!
Wanda beginnt tastend und mit rhythmischen Bewegungen, Kontakt zu Miriams Kind aufzunehmen. Sie erwartet etwas Feindliches, vielleicht sogar Trotzig-Verschlossenes, aber sie fühlt stattdessen ein warmes Willkommen ihrer Hände. Es folgt eine sofortige Kommunikation. Alles ist voller Klarheit und Licht. Es ist, als würde Wanda sogar Worte hören. »Wo warst du so lange?«
Gerne verbindet die Hebamme sich mit dieser klugen Kleinen; Miriam erwartet ein Mädchen. Ohne Worte verabreden sie sich für die Geburt. In ein paar Tagen, wenn es so weit ist, wird Wanda zur Stelle sein, versprochen. Nur dieser Mama in Not muss bis dahin ein wenig geholfen werden, damit sie sich entspannt. Gut hat sie es gemacht, die Kleine, weil sie zu Wanda gekommen ist. Ihre Landung in dieser Welt wird eine sanfte sein. Mit ihren Fingerspitzen redet die Hebamme immer weiter mit dem Kind, glättet kleine Sorgen und sichert die nötige Zusammenarbeit. In diesem Fall ist es das reinste Vergnügen. Diese kleine Erdfee in der Warteschleife wird ihrer Mutter viel Freude machen. Hingegen ist der Erzeuger ohne jede Bedeutung für dieses Wesen. Er war lediglich ein Spender. Marienkinder nennt Wanda diese Kinder, die es seit den Neunzigerjahren immer häufiger gibt. Es kommen inzwischen mindestens so viele Buben wie Mädchen ohne einen wirklichen Vater auf die Welt. Manchmal ist viel Leid im Spiel. Wanda begegnen immer mehr solcher Fälle in ihrer Praxis, bei denen dieses Leid schon vor der Geburt beginnt, weil die Frauen oft nicht wahrhaben wollen, dass es keinen gemeinsamen Weg mit dem Vater geben wird. Die Ämter und viele Beratungsstellen sind in diesen Fällen völlig hilflos. Was will man auch eine Paartherapie beginnen, wenn die Frau schon ein Kind erwartet und der Vater unbedingt ein kleiner Junge bleiben will. Wenn eben kein Vater da sein wird und die Frauen oft zutiefst verzweifelt sind, beginnt Wanda auf ihre Art mit den Kleinen im Bauch zu sprechen. Sie erzählt ihnen mit ihren Fingerspitzen von der Heiligen Muttergottes, der sich Wanda wie so viele in dieser Region zutiefst verbunden fühlt. Immer bittet sie um Marias Segen, bevor sie ein Kind in diese Welt begleitet. Immer sagt sie danach Dank. Und fast immer zündet sie in ihrer kleinen Lieblingskapelle eine Kerze an für die Mutter und das Kind, damit sie beim Stillen zusammenfinden. Der Vater spielt oft gar keine Rolle, leider, denn es gab Zeiten, in denen Wanda in den Vätern die wunderbarsten Assistenten bei ihren Geburten hatte.
Heute hatte Wanda eine frühe Geburt in den Morgenstunden, die voller schlechter Schwingungen war. Schon ihr letztes Kind hat diese Mutter nicht annehmen können, weil sie selber zutiefst unglücklich war. Ihr Mann, der Vater, war seit Jahren nur noch besoffen, weil er schon nach dem ersten Sohn keine weiteren Kinder mehr wollte. Als Wanda die traurige Familie schließlich gut versorgt allein gelassen hat, hat sie auf dem Heimweg ihre Schritte an der Kapelle vorbeigelenkt. Sie wusste nicht, um was sie beten sollte. Der dritte kleine Bub, dem sie gerade geholfen hatte, auf die Welt zu kommen, war genauso wenig willkommen wie sein zweijähriger Bruder, jetzt schon ein schwer gestörtes Kind. Einen einzigen Sohn wollte der Vater, aber seine Frau ist eben streng katholisch, und deshalb wird nicht verhütet. Solche Familien gibt es auch unter Wandas Schützlingen, und es gibt wenig, womit sie so einer Frau und auch den Kindern helfen kann. Schon bei der Geburt sind solche Kinder auf eine
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