Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Gebot. Woher wussten die, dass Miriam ihr Baby behalten hatte? Bis heute hat Miriam darauf keine Antwort. Aber im siebten Monat war sie komplett verzweifelt, weil sie gar kein Geld mehr hatte. Eine nächtliche Putzstelle hatte sich als Katastrophe erwiesen. Als Kellnerin konnte sie nur wenige Stunden auf ihren Füßen stehen, denn sonst bekam sie massive Rückenschmerzen. Zudem stand Bene eines Nachts im Lokal, weil Anna-Sophie wieder Albträume hatte. Dann lag ein weiteres Schreiben im Briefkasten. Die fristlose Kündigung der Wohnung, weil Miriam die teure Miete nicht mehr bezahlen konnte. Kurz darauf, ermüdet vom vergeblichen Kampf um das Notwendigste für sich und die Kinder, sprach Miriam von sich aus noch einmal im Jugendamt vor. Die Ansage war mehr als deutlich. Miriam müsste ihren Neffen und ihre Nichte noch vor Weihnachten zu Pflegeeltern geben. Ihr Einverständnis wäre das einzig mögliche Sesam-öffne-Dich zu den öffentlichen Konten für Miriam und das Baby.
Ob Miriam die Pflegeeltern kennenlernen könnte?
Ob die Geschwister zusammenbleiben würden?
Wie lange sie getrennt sein würden?
»Diese Fragen kann ich Ihnen leider nicht beantworten, aber wir begrüßen, dass Sie endlich kooperativ sind.« Die Dame dachte wirklich, sie hätte gewonnen. Wie von alleine füllte sich das Zimmer in dem hässlichen Gebäude mit einer weiteren Beamtin und einem Herrn mit gebrochenem Lächeln auf talgiger Haut, der sich Miriam als Leiter der Abteilung vorstellte. Es wurden konkrete Pläne geschmiedet. Weder Anna-Sophie noch Bene ahnten etwas von der bevorstehenden Trennung, was man nutzen wollte, um den ersten Kontakt zu den jeweiligen Pflegeeltern ganz zwanglos herzustellen. Leider konnte man niemanden finden, der beide Waisen in Pflegschaft nehmen würde. In Miriam erklang eine unglaublich hässliche Melodie, als die Kollegen sich immer einiger wurden, wie man einen konkreten Zeitplan erstellen müsste, um das Ganze noch vor Weihnachten über die Bühne zu bringen. Es war Marschmusik der übelsten Sorte. Als Miriam gänzlich bewusst wurde, was sie nur durch ihr Kommen angezettelt hatte, wurde ihr so übel, dass sie das schreckliche Gebäude von einer Sekunde auf die andere im Laufschritt verlassen musste. Sie drehte sich nicht um, auch nicht, als der Herr mit der talgigen Haut ihr bis auf die Straße hinterherlief. Es war einfach nur schrecklich. Wenn sie sich daran erinnert, kommen Miriam jetzt noch die Tränen. Es ist Zeit, mit der unguten Vergangenheit aufzuhören.
Kurz darauf liegt Miriam auf Wandas weicher Behandlungsliege, aber immer noch kann sie nicht aufhören zu reden. Miriam muss ihre Wut irgendwie in Worte fassen. Mit fahrigen Gesten formt sie in der Luft für die Hebamme ein Gebilde aus trennendem Schmerz und tiefer Verletzung. Es war doch die ganze Zeit ein Pflänzchen dabei, das in ihrem inneren Garten wachsen wollte. Dieses Baby vertraut ihr, doch statt es zu düngen, hat Miriam es zur Eisfrau gebracht, die ihm die Geschwister nehmen wollte. Warum hat sie das getan?
Wanda spürt Miriams zunehmende Aufregung. Mit sanften Berührungen bittet sie die werdende Mutter mit den rastlosen Augen, sich noch einen Augenblick lang zu entspannen. Die Zeit ist bald um. Der Taxifahrer wird mit den beiden Kindern vor der Tür stehen. Dann muss Miriam zurück ins Hier und Jetzt. Aber vorher möchte Wanda noch ein paar gezielte Weichen stellen. Die Hebamme atmet tief durch. Diese Frau wird viel Kraft brauchen, denn die Mutterenergie für eine derart verletzte Familie muss sorgfältig geschmiedet werden. Damit legt Wanda gekonnt ihre Hand an Miriams rechten Fuß und beginnt Fragen zu stellen. Miriam hält sich nicht für die beste Mutter der Welt, oder? Hat der Vater dieses Babys, ihr ängstlicher Zahlenjongleur, vielleicht sogar recht, wenn er Miriam vorwirft, zu impulsiv für die Verantwortung einer Mutterschaft zu sein? Miriams Antwort kommt tief aus dem Bauch heraus.
»Was versteht schon ein Mann davon?«
»Und was verstehen Sie davon?«
Wieder fahren Miriams Arme in die Luft. Ihre Hände umschreiben jetzt präziser eine amorphe Form, die Wanda erkennt. Es ist die Familienenergie dieser Frau, die jetzt durch Miriam zusammengefügt und innerlich gefunden werden muss. Wanda bittet Miriam, die Teile der entstehenden Form zu benennen. Da ist das Baby, dort ist Anna-Sophie, hier Bene und schließlich Miriam selbst. Sie sind ein Gebilde aus vier Wesen, eine Familie eben. Im Außen scheint das im Moment noch wie
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