Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
vor wie zwei Fremdkörper an seiner Seite herabhängen? Für einen Gitarristen eher ungewöhnlich. Miriam meint zu spüren, dass der Cowboy selbst in diesem Moment verzweifelt versucht, seine kostbare Coolness zu bewahren, weil ihn etwas über alle Maßen irritiert. Was es wohl sein mag? Das ungewohnte Sitzen in diesem Dönerladen? Der familiäre Kontext? Vielleicht am Ende Miriam selber, die mit ihrem Bauch so wirkt, als könne sie sich von alleine nicht wieder aus dem Campingstuhl befreien? Hat er Angst, sie retten zu müssen? Was ist dieser Cowboy unter seiner Fassade bloß wirklich für ein Mann?
Während Miriam noch innerlich rätselt, schreitet Anna-Sophie bereits mutig zur Tat. Energisch beginnt sie diese angespannte Situation des Wartens zu ihrem Vorteil zu verändern. So als würde sie Joes Unsicherheit formen können wie Knete, greift Anna-Sophie zur linken Hand des Cowboys und legt sie sich fest um den Bauch.
»So legst du jetzt deinen Arm um mich. Dann kann ich nicht von deinem Schoß fallen. So macht ein Papa das.«
Dem Cowboy wird unter seiner Lederjacke unerträglich heiß, während die Kleine auf seinem Schoß vor sich hin summt.
»Papa, Papa, Papa …«
Es ist nicht so, dass der Cowboy Kinder nicht gewohnt wäre. Seine beiden Patenkinder hatte er bereits auf dem Arm, als sie wenige Tage alt waren. Joe ist der erklärte Lieblingsonkel, weil er sich viel gefallen lässt. Mit dem Lockenstab hatte ihn Patentochter Jasmina, inzwischen ein Teenager, letzten Fasching als Marilyn Monroe frisiert. Als supercooler Hund ist Joe bekannt. Doch plötzlich kann er sich nicht an dieses lässige Gefühl im Umgang mit Jasmina erinnern. Warum? Es muss sein, weil das kleine Mädchen auf seinem Schoß eine Waise ist und ihm irgendwie leidtut.
»Jetzt wart amal! Des wird ja viel zu heiß!«
Damit öffnet Joe seine Jacke. Er hilft auch Anna-Sophie, ihren Anorak auszuziehen, was wegen der Puppe ein schwieriges Unterfangen ist. Miriam denkt nicht daran, behilflich zu sein. Insgeheim hat sie ihre Freude daran, wie das Mädchen den Cowboy um den Finger wickelt. Früh übt sich, wer später einmal eine Flirtmeisterin werden will. Natürlich entgeht Miriam nicht, wie gequält Bene aufstöhnt, da seine Peinlichkeitsschwelle pausenlos übertrampelt wird. Aber sie greift nicht ein. Bene muss da durch. Anna-Sophie braucht männliche Geborgenheit, und sei es, um sich daran zu erinnern, wie glücklich sie in den Armen von ihrem Papa früher war. Wer weiß, bei was für Menschen Anna-Sophie landen wird, wenn es Miriam nicht gelingt, ein Zuhause für sie alle vier herbeizuzaubern.
Joe hat die Situation mittlerweile im Griff. Er scheint seinen Spaß an dem kleinen Mädchen auf seinem Schoß zu haben, das so eindeutig weiß, was es möchte. Jetzt bitte hier im Nacken krabbeln, dann die Puppe auf die zerzausten Wollhaare küssen und zuletzt Anna-Sophie ein bisschen unter den Armen kitzeln, bis das fröhliche Lachen der Kleinen dem ankommenden Dönerchef ein Schmunzeln entlockt. Mit dem Tablett kommt eine gewaltige Ladung Essen, gekrönt von Lutschern für die Kinder und sogar einer festlichen kleinen Kerze. Mit einer kleinen Verbeugung vor Miriam serviert der Dönerchef den ersten Teller.
»Bitte um Entschuldigung für die Verspätung. Hier, Ladies first! Bisschen scharf ohne Zwiebeln mit extra Tomate.«
Köstlich sieht der Döner aus. Miriam läuft das Wasser im Mund zusammen. Ohne groß nachzudenken, folgt der Dank.
»Tes˛ekkür ederim.«
Miriam fügt noch ein paar weitere türkische Satzbrocken hinzu. Aus einer Laune heraus lässt sie ihren Charme bei dem Dönerkönig spielen. Joe versteht nicht, was Miriam sagt, hört aber den einen oder anderen Städtenamen heraus und zieht seine eigenen Schlüsse. Aber als die beiden Kinder ebenfalls ein paar Worte auf Türkisch mit dem Dönerchef wechseln, um sich für das köstliche Mahl zu bedanken, bleibt Joe vor Staunen der Mund offen stehen, denn um sich für die Höflichkeit zu revanchieren, spricht der Dönerchef in ausgesprochen flüssigem Hochdeutsch seine Komplimente für die guten Manieren der Kinder und für Miriams Geburtsstadt Dresden aus. Natürlich bezieht der Mann Joe in jeden seiner Sätze mit ein. Es ist nicht so, dass Joe diese Form der Ehrerbietung nicht seit vielen Jahren kennt, denn der Vater seiner Patentochter Jasmina kommt ebenfalls aus einem muslimischen Land. Aber Joe hat eine andere Vorstellung von dem Dönerchef, bei dem er seit vielen Jahren sein
Weitere Kostenlose Bücher