Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
ist wie das Betreten einer Zeitzone. Im schmuddligen Siebzigerjahredekor träumt die Band immer noch vom großen Erfolg der musikalischen Spätzünder. Die durchgesessene Couch ist vollgesogen mit den Sehnsüchten des hungrigen, aber schüchternen Jünglings, der Joe früher einmal war. Er bezahlt nun schon dreißig Jahre die nach wie vor lächerliche Miete an die alte Hausbesitzerin, für deren Auto er immer noch zuständig ist, wenn es um Reparaturen und den Reifenwechsel geht. Manchmal hört sich Joe auch die Sorgen der über Siebzigjährigen an, die gerne das eine oder andere Bier wegputzt und regelmäßig ins musikalische Schwärmen kommt.
Anita Giggenbichler wollte früher Sängerin werden. Deshalb war sie 1960 als junges Mädchen aus dem Chiemgau nach München gekommen, wo sie es aber leider nur bis zur kinderlosen Ehefrau eines um zwanzig Jahre älteren Langweilers gebracht hatte. Das Vertrauen in ihr musikalisches Talent hatte sie verlassen. Schonungslos mit sich selber, wie Anita sich gerne bei Joe gibt, kokettiert sie oft mit ihrer größten Schwäche, der weiblichen Verzagtheit. Es besteht ja auch mit siebzig immer noch ein klein wenig Hoffnung auf eine Entdeckung, nicht wahr? Meistens sind diese Ambitionen nach dem zweiten Bier vom Tisch, denn mehr verträgt die zarte ältere Dame beim besten Willen nicht mehr. Anitas langweiliger Ehemann, dessen Name mit Plakette am Vorderhaus angebracht ist, weil er einer der letzten Münchner Wagnermeister war, hat seinem Goldkehlchen, wie er Anita genannt haben soll, bei seinem frühen Ableben das alte Mietshaus hinterlassen. Dieses Erbe sollte sich als wahre Goldgrube herausstellen. Über mehrere Jahrzehnte konnte Anita sorglos ihren zahllosen Lastern, wie sie es gerne selber nennt, nachgehen. Vor allem konnte sie als Witwe nach Belieben junge Männer vernaschen, bis sie mit vierzig Jahren in einem Anfall von Religiosität beschlossen hatte, ihr Konto im Jenseits nicht mit weiteren Sünden zu belasten. Von da an hatte Anita begonnen, die schönen Künste in München zu fördern. Seinem musikalischen Talent hat Joe die spottbillige Miete für den Übungsraum des Chiemgauer Jazztrios zu verdanken. Zu den sechzig Quadratmeter Keller gehören ein eiskaltes Klo im Gang und eine Garage für Molly. Seit dem Unglück bewohnt Joe zudem oben in der Dachschräge ein Einzimmerapartment, für das Anita ihm inzwischen fast die für München übliche unverschämte Miete abverlangt. Unaufgeräumt und muffig, wie seine Junggesellenbude meistens ist, hat Joe keinerlei Lust, die Schwangere und die beiden Kinder bis in den fünften Stock zu bringen, nur damit Miriam telefonieren kann. Die Dresdnerin hat den Cowboy vor dem Dönerparadies um einen Ort gebeten, von dem aus sie in Ruhe ihre Münchner Freunde durchtelefonieren kann, um über das Wochenende für sich und die Kinder Obdach zu erbitten. Deshalb bringt Joe Mutter und Kinder jetzt in den Keller. Seine beiden Freunde haben bereits begonnen zu üben. Die dissonanten Klänge des Saxofons verraten Bärlis Missstimmung, die mit seinem Zahnarzttermin zusammenhängt. Ein Implantat, das dritte von fünfen, wurde heute einzementiert. Bärlis muskelbepackte Oberarme und sein glatt rasierter Schädel können nicht darüber hinwegtäuschen, dass er bald sechzig wird. Constantin unterbricht seine wilden Kadenzen auf dem Keyboard, um auf Joe zuzukommen, der mit dem kleinen Mädchen auf den Schultern die Kellertreppe runterkommt. Er zwinkert seinem Freund überrascht zu.
»An frischen Kasten Bier hast uns mitbringen sollen und koa Familie! Habe die Ehre allerseits!«
Conni lächelt Anna-Sophie an. Er ist Charme pur, eher auf die Wiener Art, aber durchaus anziehend, wie viele Frauen finden. Joe lächelt dankbar, weil sein Freund es offensichtlich nett findet, dass Besuch mitgekommen ist.
»Des Bier war aus! Da hab ich a Prinzessin samt Anhang mitbracht! Conni, des ist die Anna-Sophie. Anna-Sophie, des is mei alter Freind Constantin, genannt Conni.«
Conni hilft Anna-Sophie von Joes Schultern.
»Wie überaus charmant, Prinzessin Anna-Sophie!«
Conni setzt das schüchtern lächelnde kleine Mädchen auf dem Boden ab. Als er sich wieder aufrichtet, kommt Miriam die Treppe runter. Fasziniert von dem Bauch der Frau, die von Bene die steile Treppe hinuntergeführt wird, starrt er Miriam an. Joe räuspert sich, denn nur zu genau kennt er Connis Gedanken. Alle Achtung, scharfe Braut, schade, dass sie sich drei Schratzen hat anhängen lassen. Das
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