Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
liest Joe in Connis Blick. Ihre oft geübte wortlose Männersprache hat ihren eigenen Code, zementiert durch endlose Sessions und lange Fahrten über Land in Connis altem VW-Bus zu obskuren Kleinbühnen im bayerischen Hinterland. Das Trio ist eine fest verwobene Einheit.
Kurz wird es ganz still, als Miriam den Keller betritt. Bärli lässt beim Anblick der Frau sein Saxofon sinken, um am Blickabtausch teilzuhaben. Man war sich bisher immer, wenn es um Frauen ging, schnell einig. Diese hier wäre, wenn nicht schwanger und anscheinend mehrfache Mutter, vom Typ her eindeutig Joes Beuteschema. Lockige dunkle Haare und eine leicht transparente Haut. Für die grünäugigen Schönen hat Joe ein Faible, weil sie ihrer Beute gerne weibliche Verletzlichkeit vortäuschen, bevor sie ihre Krallen ausfahren, das zumindest ist Joes eigene These.
Constantin mag sonst lieber die dunkeläugigen, auch gerne südländischen Schönen, die zwar oft Haare auf Körper und Zähnen haben, aber zumindest ehrliche Monster sind. Doch von dieser Frau kann er keine Sekunde den Blick abwenden. Sind es die Monstrosität ihres Leibes oder die aufgesprungenen Lippen in dem zu blassen Gesicht, die Conni mit unnatürlich starkem Sog anziehen? Conni weiß es nicht. Er würde Joe nie ernsthaft in die Quere kommen, nicht nach dem, was Joe durchgemacht hat. Seit damals hat Joe sich nicht mehr verlieben können und fischt nur gelegentlich nach Eintagsfliegen, die ihn nie länger interessieren.
Bärli belässt es seit seiner katastrophalen Scheidung vor fünf Jahren ohnehin beim selbst gewählten emotionalen Zölibat, das er nach strengen Regeln verwaltet. Sex ja, Spaß ja, Gefühle nein. Seit er seine blonde Dänin Meike samt zwei gemeinsamen Kindern zurück nach Kopenhagen ziehen lassen musste, schwört Bärli auf die käufliche Liebe oder einen gelegentlichen kleinen Seitensprung mit einer fest Verbandelten, die ihm nicht gefährlich werden kann. Die Aufschrift No feelings steht passend auf Bärlis ärmellosem T-Shirt.
Miriam wird bei dem Anblick des Kellergewölbes kalt. Um acht Uhr abends herrschen maximal zehn Grad in dem verliesartigen Gewölbe, der ehemaligen Wagnerwerkstätte von Herrn Adolf Heinrich Giggenbichler, wie Joe den Kindern stolz erklärt, während er auf die alten Wagenräder an den Wänden deutet, die dort als Dekoration hängen.
Miriam tritt schwer atmend von der letzten steinernen Stufe auf den uralten Kokosläufer, der, an den Ecken ausgefranst und mit zahllosen Flecken und Brandlöchern übersät, an wilde Partys erinnert. Ein plötzlicher Ekel überkommt sie, als sie sich nach einer passenden Sitzgelegenheit zum Telefonieren umsieht, die nicht nach einem Matratzenersatz für verzweifelte Altrocker aussieht, die zwischen den Schenkeln von jungen Frauen ihr Scheitern vergessen wollen. Genau das ist es, was Miriam in den ersten Sekunden von den beiden Männern denkt, die ihr von Joe im Taxi als gute Musikerfreunde angekündigt wurden und ihr jetzt mit einem etwas starren Lächeln entgegenkommen. Es ist ihr Bauch, der in fast jedem Mann das Gleiche aufflackern lässt. Ablehnung. Miriam weiß das und wappnet sich, indem sie ihre Hand so weit weg von sich selber ausstreckt, wie es nur geht.
»Habe die Ehre, schöne Frau!«
»Servus! Ich bin der Bärli. Willkommen!«
Mit kargem Lächeln schüttelt Miriam Hände und sucht krampfhaft nach etwas Positivem, um sich zumindest ein wenig zu entspannen. Es ist ein Trick, den die Amazonenkönigin ihr als junges Mädchen beigebracht hat. Miriam hatte vor ihrer Aufnahmeprüfung auf die Musikhochschule derartiges Lampenfieber, dass sie sich ständig übergeben musste. Etwas Positives? Ach ja, sie konnte dafür dankbar sein, dass sie von den beiden Altrockern zur Begrüßung nicht mit dem in Bayern üblichen »Grüß Gott« bedacht wurde. Dieser Gruß löst bei Miriam immer aufs Neue Ärger aus, weil er den Eindruck vermittelt, als hätte die bayerische Bevölkerung das Monopol auf das lässige Per-du-Sein mit dem Allerhöchsten, ein Privileg, von dem Miriam nicht einmal zu träumen wagt. Für sie ist Glauben eine ernste Angelegenheit, schon immer gewesen, und zwar in allen Konfessionen. Miriam weiß nicht, wie man einen Gott grüßen soll, aber die bayerische Lässigkeit scheint ihr durch und durch unangebracht. Mit dieser Thematik ist Miriam in München schon öfter angeeckt.
Brav schüttelt sie die angenehm warmen Hände von Keyboard-und-auch-Schlagzeug, wie Conni sich bei ihr vorstellt,
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