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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Joens
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Billigkaufhaus ein schweres Geschütz mitgehen lassen müssen, um sich halbwegs verpackt zu fühlen. Das Stehlen des hautfarbenen Stillbüstenhalters hatte sie Stunden an Planung gekostet, denn Miriam war kein Profi in diesen Dingen. Zudem war ihr ein Mann gefolgt, der verdächtig nach Kaufhausdetektiv aussah. Miriam probiert zunächst die Bluse und die Unterhose an und ist angenehm überrascht von dem Gefühl der feinen Baumwolle auf ihrer Haut. Die Beine der Unterhose sind weit, sodass sich die Strümpfe einfach über die Knie hochziehen und mit Haltern befestigen lassen, nachdem Miriam das Schwierigste gelungen ist. Sie hat keine Ahnung, wie andere hochschwangere Frauen es schaffen, an ihre Füße heranzukommen, aber ihre Arme sind ganz einfach zu kurz, und es erfordert ein fast akrobatisches Geschick, ihre Füße überhaupt in die Strümpfe zu bekommen.
    Zuletzt kommen Rock und Mieder. Der Rock ist schwarz, bodenlang und hat ebenfalls einen verstellbaren Bund, allerdings mit relativ zarten Häkchen, die nicht so aussehen, als ob sie viele Tritte von innen vertragen. Zuletzt inspiziert Miriam ein traumhaftes Mieder aus Samt in einem gedämpften Karmesinrot, abgepaspelt mit schwarzen Bändern an den Kanten. Bewundernd lässt sie ihre Finger über das in den Samt geprägte gleichfarbige feine Blumenmuster gleiten. Es ist ein Kleidungsstück für eine Königin. Aber sollte es ihr wirklich der Cowboy hingelegt haben, ließen sich aus diesem Kleidungsstück auch gewisse Vorlieben ableiten, was sein Liebesleben betrifft. Die Reitgerte wäre in diesem Fall nicht weit, ebenso wenig wie zwanzig Zentimeter hohe Stilettos, denn es ist die Art von Mieder, das mit Bändern geschnürt an der Taille über dem Rock ein Schößchen bildet, das die hinteren Rundungen betont. Das funktioniert allerdings nur, wenn man eine Taille hat. Miriam erinnert sich vage an ihre Leibesmitte, einst durchaus vorzeigbar, und seufzt. Einen Moment lang überlegt sie einfach, in der Unterwäsche in ihrem Zimmer zu bleiben, bis ihre eigenen Sachen fertig sind. Es sei ein Trockner da, hat Joes Mutter ihr versichert, als sie gestern Nacht noch energisch die verschmutzte Kleidung eingesammelt hatte, denn alle drei hatten sie Schlammspritzer und andere Flecken auf ihren Sachen. Ab dem Moment, als Carolas Waschmaschine den Geist aufgegeben hatte, hieß es täglich abwägen, ob sie die fünf Euro in den Waschsalon fünf Straßen weiter tragen sollte oder aber die Kinder ein vernünftiges Abendessen brauchten. Unterwäsche und Strümpfe sowie die Oberteile der Kinder hatte sie oft in der Badewanne gewaschen, aber das Auswringen war mit dem dicken Bauch immer mühsamer geworden.
    Miriam steht vor dem Spiegel und lächelt über die altmodische weiße Unterwäsche, frisch gestärkt, blütenweiß und angenehm weit weg von ihrem verschlissenen Unterzeug der letzten Monate. Miriam hasst Armut. Sie hasst das Gefühl von tiefer Scham, das damit einhergeht, am Rand der Gesellschaft zu stehen, in einer Reihe mit den Alkoholikern, den Gescheiterten und letztendlich auch den Kriminellen, wie sie jetzt selber eine ist, und sei es nur wegen des Diebstahls eines Stillbüstenhalters. Zu viele traurige Geschichten kennt sie, um nicht zu wissen, dass in den meisten Fällen die Schuld nicht beim Einzelnen zu suchen ist. Die rücksichtsloser werdende wirtschaftliche Zentrifugalkraft schleudert mit rapider Geschwindigkeit gute Menschen in die Welt des Elends. Nur wer mit dem berühmten goldenen Löffel im Mund geboren wird, hat wirklich noch eine Chance, nach oben zu kommen. Auch Miriam lebt im Schleudergang. Sie wird bald aufhören müssen, sich mit den Kindern in einem verzweifelten letzten Aufbäumen an dem Tellerrand festzuklammern, denn sie hat nicht die geringste Chance. Es ist lediglich eine Frage ihrer inneren Kraft, wann sie auch in den armutsbedingten seelischen Abgrund stürzen wird. Viele alleinerziehende Mütter, die sie in München und auch in Dresden kennengelernt hat, sind voll mit verzweifeltem Zorn über die Missachtung der Gesellschaft. Früher oder später werden diese Mütter ihre Wut an ihren Kindern auslassen und ihnen den Hass auf die Gesellschaftsschicht beibringen, die sie jahrelang gequält hat. Miriam zupft an den zarten weißen Rüschen, die ihren appetitlich vollen Ausschnitt säumen, der sie an Zeiten erinnert, als sie noch bei ihrer Mutter lebte. Sie will nicht über ihre aussichtslose Zukunft nachdenken. Lieber träumt Miriam noch ein wenig, als

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