Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Blick auf Hilla hinüber zur Scheune, wo die Katze sitzt. Bene folgt seiner Schwester, aber ihm ist anzumerken, dass er dem Frieden nicht traut. Hilla sieht den Kindern mit einem Blick hinterher, der spontanes Mitleid ausdrückt.
»Des is koa gute Idee, wenn Kinder bei so einer Tante aufwachsen müssen … Du hast doch was mit ihr …?«
»Mama!!!!«
Vom Fenster aus sieht Miriam, wie Joe und sein Vater die Kinder auf die Pferderücken heben und sie zu einem verschneiten Weg führen, der den Hang hoch in Richtung Berge führt. Es ist ein sonniger Morgen, aber eisig kalt, wie sie an dem dampfenden Pferdeatem sehen kann, der von den Nüstern aufsteigt. Am Fenster wachsen Eiskristalle auf der unteren Sprosse. Eine verzweigte Blume säumt einen feinen Riss an dem gewölbten Fensterglas, das mit vielen Unebenheiten beachtliches Alter verrät. Miriam hat das Gefühl, auf dem Stadlerhof wie durch einen Zeittunnel auf die Dreißigerjahre zurückzublicken. Die Scheunentore sind geschlossen, sodass man keines der drei Autos der Stadlers sieht. Hilla ist in ein altes Winterdirndl gekleidet, wie man sie schon im vorigen Jahrhundert trug, und die Männer tragen zeitlose Filzjacken. Bis auf die hässlichen Anoraks der Kinder auf den Pferderücken deutet nichts auf die heutige Zeit. Alterslos wachen die schneebedeckten Berge über das enge Tal, Nadelbäume werfen spitze Schatten in der Vormittagssonne, die jetzt knapp über dem Gipfel steht. Maximal vier Stunden wird es auf dieser Seite des Tals sonnig sein, schätzt Miriam, erstaunt über die Höhe der umliegenden Berge. Nahe der österreichischen Grenze, hat Joe gesagt, liege der Hof seiner Eltern, aber Miriam hatte vergessen, wie beeindruckend die Alpen bei klarer Sicht sein können. Die Spitzen des in Österreich liegenden Wilden Kaisers glaubt sie vom Panorama her hinter der ersten Bergkette noch zu erkennen, aber sie ist sich nicht sicher. Knapp einen Kilometer unterhalb des Hofes liegen die Ausläufer des Dorfes. Noch weiter unten, um eine gelbe Kirchturmspitze herum gruppiert, ahnt sie hinter dem Wald den Dorfkern mit der Hauptstraße. Es ist die Art von malerischem Ort, wie Miriam sie von bayerischen Postkarten her kennt. Unwirklich und kitschig kommt ihr hier alles vor, auch der Jesus an der Wand, der ein leichtes Lächeln auf den Lippen zu haben scheint. Eingewickelt in ihre Decke, steht Miriam am Fenster, genießt das Märchenland und überlegt, was sie als Nächstes tun soll. Es hängt ein Kleid über dem Schaukelstuhl, wo sie gestern Abend noch ihre Kleider abgelegt hatte. Hilla hatte angeboten, ihre Sachen zusammen mit denen der Kinder zu waschen, und Miriam hatte ihr alles samt Unterwäsche und Strümpfen gegeben, denn Wäsche waschen konnte sie schon länger nicht mehr in der Wohnung in Haidhausen. Komplett nackt war sie ins Bett gegangen, da ihrem Körper im jetzigen Zustand ohnehin jede Art von Kleidung zu viel war. Das Laken war für ihren nächtlichen Ausflug in die Küche gerade richtig gewesen. Immer noch quält sie der Gedanke an gestern Nacht. Im Nachhinein weiß Miriam nicht mehr genau, was sie in dem Moment in der Heidi-Küche geritten hat, als sie jeglichen Anstand vergaß. Vielleicht war es der Cowboy. Vielleicht war es aber auch diese überidyllische Umgebung, die sie entweihen musste. Und jetzt so ein Gewand! Vor Miriam auf dem Stuhl liegt kein Kleid, sondern ein Wintergewand im klassischen Dirndlstil. Dazu gestärkte altmodische weiße Baumwollwäsche, wie Miriam sie höchstens aus dem Theaterfundus oder alten Filmen kennt. Riesige Unterhosen bis zum Knöchel, unten besetzt mit weißen Rüschen und versehen mit einem Zugband im Bund, damit man sie enger stellen kann, von der riesigen auf die mittlere Elefantengröße. Dazu schwarze Wollstrümpfe mit Haltern, ein wenig kratzig, wie Miriam an ihrer Wange feststellt. Von ihren eigenen Sachen ist nichts da. Sie muss sehr fest geschlafen haben, da sie gar nicht gehört hat, wie jemand zu ihr ins Zimmer kam, um ihr diese Ersatzkleider zu bringen. Sie hofft, dass er es war und nicht seine Mutter, der sich diese Kostümierung für sie ausgedacht hat. Miriam hebt den Kleiderstapel hoch, kann aber keinen BH entdecken, dafür eine weiße Dirndlbluse zum Schnüren, vorne zu schließen mit winzigen Perlmuttknöpfchen. Obwohl die Bluse unter dem Busen mit einem verstärkten Saum abgeschlossen wird, hat Miriam ihre Zweifel, ob es reichen wird, um ihre Fülle zu bändigen. Vor vier Wochen hatte sie in einem
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