Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
einen Moment, bevor sie erneut den Kampf aufnimmt, Leib und Mieder aneinander zu gewöhnen, ohne dass ihr dabei die Luft ausgeht. In ihr ist mit dem Sonnenlicht ein ganz und gar neuer Plan für eine mögliche Zukunft mit den Kindern entstanden. Hier auf dem Land wird sie versuchen, durch die Musik Fuß zu fassen und bezahlte Arbeit zu finden, notfalls auch in der bayerischen Volksmusik. Unerträglich hatte sie in der Vergangenheit diese musikalische Richtung empfunden, die sich in Deutschland erstaunlicher Verkaufszahlen erfreut, aber über diesen Schatten wird sie jetzt springen. Durch das Fernsehen wird mit volkstümlicher deutscher Musik gutes Geld verdient. Um sich darüber lustig zu machen, hatte sie sich mit Schwager und Schwester diese Sendungen manchmal angesehen, in denen Frauen in Dirndln und Männer in Lederhosen sich lautstark jodelnd lächerlich machten. Doch bisweilen war musikalisch auch etwas dabei. Fast wäre Miriam einmal sogar mit aufs Oktoberfest gegangen, doch dann waren die Kinder noch zu klein, und Miriam hatte auch ein wenig Angst vor der Bier trinkenden Masse. Doch bei Sonnenschein besehen ist ihr Plan gar nicht schlecht. In dem Notizbuch in den Tiefen ihrer Handtasche liegt der Brief von einem Musikverlag, der ihr kürzlich ein Lied zurückgeschickt hat, von ihr für die Weihnachtszeit komponiert. Das Lied sei zu volkstümlich, hieß es in der Absage, aber Miriam glaubt an ihr Lied. Sie hat es noch mit ihrer Schwester und ihrem Schwager zusammen geschrieben. Der Abend wird ihr unvergesslich bleiben, denn sie hatten beim Essen mit den Kindern über Heimat gesprochen. Wassili, der sich in München nie ganz wohlgefühlt hatte, begann in übermütiger Stimmung spontan dieses Lied zu erfinden, dessen Text ausgezeichnet zu dem karmesinroten Mieder passen würde. Energisch befestigt Miriam die Schnüre und versucht mit einem Ruck vom Bett aufzustehen. Es gelingt zwar, aber sie bekommt in dem engen Ding kaum Luft. In der Hoffnung, sich bis zur Küche bewegen zu können, verschiebt sie alles noch einmal nach oben, sodass der Bund des Rockes unter ihrem Busen sitzt. Jetzt passt das Mieder zumindest halbwegs, solange sie es unten herum offen lässt. Allerdings lässt es zwischen ihren Brüsten ein tiefes, wollüstiges Tal entstehen. Miriam sieht sich kritisch in dem Spiegel an, der vor Altersschwäche blinde Stellen hat. Sie sieht aus wie eine der Damen aus dem Musikantenstadl. Die Krönung ist eine Schürze aus dunkelblauer Baumwolle, mit weißen und roten Ranken bestickt, die sie vor dem Spiegel hinten auf dem Rücken bindet. Während sie sich von allen Seiten mustert, beginnt Miriam wie selbstverständlich ein Gespräch mit dem Kruzifix, das neben ihr an der Wand hängt. Miriam mag den lächelnden Jesus und beneidet ihn fast ein wenig um seine selbstverständliche Nacktheit. Wenn er schon für alle Ewigkeit in diversen Schlafzimmern hängen muss, ist sein Lendenschurz bestimmt eine angenehme Sache … Zu spät merkt Miriam, dass sie nicht mehr alleine im Zimmer ist.
Joe hat die Tür angelehnt vorgefunden und einen Moment lang dem Gespräch im Zimmer gelauscht, in der sicheren Annahme, Miriam würde mit seiner Mutter sprechen. Aber sie ist allein. Schmunzelnd bleibt er auf der Türschwelle stehen, und Miriam würde vor Peinlichkeit am liebsten zwischen den Holzbohlen versinken. Joe räuspert sich.
»Anders schaust aus im Dirndl … es steht dir.«
Miriam nickt und versucht ein Lächeln. Sie will mit Joe ihren Musikantenstadl-Plan besprechen, der natürlich ein Akt der schieren Verzweiflung ist. In den letzten Monaten hat sie haufenweise verzweifelte Ideen gehabt. Die schlimmste davon betraf das Gewerbe der käuflichen Liebe, in das sie verbal eine Zeit lang einsteigen wollte, zunächst mit russischem Akzent und möglichst normalen Kunden. Aber wie Miriam schnell lernen musste, hatte sich auch im virtuellen Sexnetz eine Schlange gebildet. Alles, was sie ergattern konnte, war die unbeliebte Arbeitszeit von fünfzehn bis achtzehn Uhr, in der die Kinder zu Hause waren, oder aber morgens zwischen halb vier und halb sechs. Wahrscheinlich waren vor allem alleinerziehende Mütter an diesem Job interessiert. Und was die Normalität der Kunden betrifft, musste Miriam auf die harte Tour lernen, dass es Normalität in dieser Branche nicht gibt. Ein besonders ekelhafter Kerl hatte ihr seine Tötungsphantasien erzählt, mit Strangulationen in den abscheulichsten Varianten. Miriam schüttelt die widerliche
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