Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Verlegenheit seiner Augen ahnt sie einen Abgrund, mindestens so tief und vielleicht noch dunkler als ihr eigener. Aber Joe sagt nichts, sondern gibt ihr nach dem Moment des gemeinsamen Schweigens ihre Hand zurück. Der magische Moment ist vorüber.
Als Miriam kurz darauf wieder in ihrem Bett liegt, brennt ihre Hand wie Feuer. Millionen von Signalen, übertragen in einem Moment der schonungslosen Ehrlichkeit, erzählen ihr eine Geschichte von solch bitterer Traurigkeit, dass sie das Kind in ihrem Bauch schützend umfängt. Lange hat Miriam nicht gebetet, seit ihrer Kindheit nicht mehr regelmäßig, doch in diesem Moment bittet sie den Himmel nicht nur um Schutz für sich und die drei Kinder, sondern auch für den einsamen Mann dort unten in der Küche.
In den späten Morgenstunden des Samstags hört Miriam im Halbschlaf, wie die Kinder miteinander flüstern und dann die Vorhänge zuziehen, damit Miriam noch weiterschlafen kann. Sie ahnt durch halb geschlossene Augenlider die Sonne, von der die Kinder ins Freie gelockt werden, kann aber selbst nicht einmal ans Aufstehen denken. Schlafen, nur schlafen will sie, um sich von den Strapazen des gestrigen Tages zu erholen. Ihr Traum führt sie zurück nach Shambala, wo sie die Treppe in ihrem Turm hinaufhastet, drei Stufen auf einmal, denn sie weiß, dass etwas Schreckliches geschehen wird. Sie muss sich beeilen, weil ihr Turm endgültig einstürzen wird und jemand ihre Hilfe braucht. Sie will einen Männernamen rufen, weiß aber nicht, welchen. Ist es ein Michael, ein Georg, ein Johannes oder vielleicht ein Thomas, den sie retten muss? In ihrer Verzweiflung ruft Miriam im Traum viele Namen, während der Turm in sich zusammensinkt und sie ihr eigenes Leben zu retten versucht und deshalb mit halsbrecherischem Mut von Absatz zu Absatz springt. Beim Aufwachen erkennt Miriam, dass sie Namen von Männern gerufen hat, die sie einst liebte. Noch benommen vom Schlaf, fällt ihr verschwommener Blick auf den Leidenden am Kruzifix gegenüber an der Wand, ein weiterer leidender Mann, der Miriam daran erinnert, dass sie es gestern für eine gute Idee hielt, einem Cowboy ins tiefste katholische Bayern zu folgen, weil sie sich wieder einmal ein bisschen verliebt hat. Aber jetzt, bei Tageslicht betrachtet, erfüllt Miriam vor allem ihre Erinnerung an die nächtliche Küchenarie mit abgrundtiefer Scham, und schnell schließt sie die Augen.
ZEHNTES KAPITEL
DAHOAM
»Hier, nimm du mal!«
»Sie kratzt!«
»Nein, tut sie nicht! Du hältst sie nur zu fest am Bauch, das mag sie nicht. Du musst das so machen, hier, siehst du, so fängt sie an zu schnurren.«
Geduldig lässt die alte Hofkatze Mimmi die Liebkosungen der Kinder über sich ergehen und gibt ein gehorsames Schnurren von sich.
Joe beobachtet die Kinder von der Scheune aus und überlegt noch, ob er zu ihnen gehen soll, aber seine Mutter ist schneller. Auch mit dem Frühstück, das sie den Kindern gemacht hat, ist sie ihm zuvorgekommen. Hilla hatte bereits die noch in der Nacht gewaschenen Anziehsachen für die Kinder parat. Seine Mutter ist so. Wenn man sich nicht in Deckung bringt, erstickt sie einen mit ihrer Fürsorge. Sie schläft nie, hat überall ein wachsames Auge, weiß grundsätzlich immer alles besser und hat es am liebsten, wenn etwas gearbeitet wird. Bestimmt wird sie zumindest versuchen, Bene eine Aufgabe zu geben, denn Anna-Sophie ist noch ein bisschen klein. Joe beobachtet grinsend, wie sich Hilla in ihrem dunkelgrünen Arbeitsdirndl zu den Kindern stellt und die Hände in die Hüften stemmt, wie es ihre Art ist. Um Bene notfalls zur Seite zu stehen, setzt Joe sich in Bewegung, denn weder soll der Junge heute den Stall ausmisten noch das Holz spalten. Aber Joe hat sich getäuscht. Seine Mutter hat etwas anderes im Sinn.
»Wollts ihr beide heute a bisserl ausreiten? Ihr braucht nur Bescheid sagen, und mein Josef sattelt für euch den Tristan und die Isolde. Gelt, Bua?«
Erstaunt sieht Joe seine Mutter an, denn sonst werden nur im Sommer, wenn Feriengäste da sind, die beiden Pferde gesattelt.
»Geh, Mama, was versprichst du denn den Kindern so a Zeug? Zunächst amal satteln wir nie im Winter, und dann woaßt noch net amal, ob des der Miri recht is.«
»Ja, dann gehst halt und fragst, ob’s ihr recht ist. Sie wird ja wohl inzwischen aufgewacht sein. Is ohnehin glei’ Mittag … aber es war ja wohl bei euch recht spät gestern Nacht …?«
Joe hört die Kritik und lächelt.
»Müd’ war s’ eben, die Miriam,
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