Mariana: Roman (German Edition)
Kopf?« fragte sie.
Das wäre sein gutes Recht, dachte ich. Johnnie jammerte seit einer Stunde unablässig, trotz aller Bemühungen Carolines, ihn zu beruhigen. Aber in Wirklichkeit tat mein Kopf nicht weh, ich hatte nur versucht, meine Gedanken zu ordnen. Das wollte ich Rachel gerade sagen, als sich die Küchentür öffnete und mein Onkel hereinkam, seine Miene finster wie ein Gewittersturm.
Er hatte schon seit Tagen schlechte Laune, und wir mußten alle darunter leiden. Jetzt entlud sich die Wucht seines Mißfallens auf seine Frau. Bist du nicht in der Lage, Weib, dein eigenes Kind vom Schreien abzuhalten?«
Ohne zu überlegen, kam ich Caroline zu Hilfe. »Er zahnt«, teilte ich meinem Onkel ruhig mit. »Er kann nichts dafür, er muß schreien.
Ich hätte genausogut unsichtbar sein können. Jabez Howard beugte sich, näher zu seiner Frau, sein Gesichtsausdruck war unbeweglich. »Bring ihn dazu, den Mund zu halten«, riet er ihr mit falscher Freundlichkeit, »sonst schwöre ich dir, daß ich es tun werde.«
Verängstigt drückte Caroline das Baby gegen ihre Brust und wiegte sich verzweifelt vor und zurück. Als ob er die Gefahr spüre; hörte John auf zu weinen. Zufrieden richtete sich mein Onkel auf und sah mich an, seine Augen waren beängstigend, denn in ihrer Tiefe lag Grausamkeit.
»Mariana«, sagte er, »ich möchte Täubchen zum Abendessen. Geh zum Taubenschlag, und hol mir einen Vogel.«
Ich sah Rachel an, und sie stand bereitwillig von ihrer Arbeit auf und wischte sich die Hände an ihrem Rock ab: »Ich werde gehen« erbot sie sich, aber mein Onkel hielt sie mit erhobener Hand zurück.
»Ich habe nicht mit dir gesprochen«, sagte er mit aalglatter Stimme, »sondern mit Mariana. Ich will, daß sie mir einen Vogel holt, und ich werde hier warten, bis sie ihn mir tot in die Hand legt. Es wird Zeit, daß sie lernt, wie man tötet.«
Meine Hände zitterten, und ich verschränkte sie hinter dem Rücken, damit er meine Schwäche nicht sah. Von keiner Seite war Hilfe zu erwarten. Rachels Augen blickten mitfühlend, aber sie konnte nichts tun, und Caroline war dem Weinen nahe in ihrer Ecke beim Herdfeuer. Unter dem beharrlichen Blick meines Onkels drehte ich mich um und ging hinaus in den sonnigen Hof, das Herz in meiner Brust schwer wie Stein.
Kapitel fünfundzwanzig
Der Taubenschlag stand im hinteren Teil des Gartens, ein stabiler, quadratischer Bau aus unbehauenen Steinen mit einem Dach aus Holzschindeln und einer offenen Kuppel obendrauf. Die Tauben flogen durch diese Kuppel ein und aus und kehrten mit unfehlbarer Verläßlichkeit immer wieder zum Taubenschlag zurück, wo sie in den dämmrigen, engen Nisthöhlen Generation für Generation von Jungen ausbrüteten und aufzogen. Es war eine äußerst wirkungsvolle Anlage – eine bequeme, raffinierte und tödliche Falle.
Ein ruckartiges Ziehen an einer von der Decke hängenden Leine genügte, und eine Falltür fiel herunter und schloß die Öffnung der Kuppel. Da ihnen somit der Fluchtweg in den Himmel abgeschnitten war, konnten die Vögel nur panisch umherflattern, während ihre Nester geplündert und ihre Zahl verringert wurde. Warum sie danach trotzdem im Taubenschlag blieben, konnte ich nie verstehen. Warum flogen sie nicht davon, sobald sich die Falle wieder öffnete? Warum blieben sie und warteten auf den Tod, wie die Kaninchen, die in einem Gehege neben der Küchentür aufgezogen wurden? Fehlte ihnen die Fähigkeit, ihr Schicksal vorauszusehen, fragte ich mich, oder hatte die Angst vor dem Leben ihre kleinen Gehirne abgestumpft, so daß sie nicht mehr wußten, wohin sie sonst gehen konnten, weil sie sich so sehr an die Sicherheit ihres Gefängnisses gewöhnt hatten?
Auch ich stand in der Gefahr, so zu werden, dachte ich plötzlich. Wenn ich nicht aufpaßte, konnte ich so werden wie die zum Tode verurteilten Vögel im Taubenschlag. Wie die hübsche Caroline mit den toten Augen, deren Haar mit fünfundzwanzig Jahren schon weiß wurde vor Kummer. Denn wie der Taubenschlag eine Falle darstellte, so auch Greywethers, und die Hand meines Onkels hielt die Leine, die die Tür zuziehen und meine Flucht verhindern konnte.
Ich konnte jetzt seine Augen auf mir fühlen, die mich vom Haus aus beobachteten, und ich rückte trotzig meine Schultern gerade, bevor ich die niedrige Holztür öffnete und einen entschlossenen Schritt in das kleine Haus tat. Zuerst konnte ich nur das hohe Quietschen der Tür hinter mir hören, als ich mich gegen sie lehnte, um
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