Mariana: Roman (German Edition)
die Rose unsterblich. In der stickigen Abgeschlossenheit meines Ateliers ließ sie innerhalb von drei Tagen die Blätter fallen.
Ich nutzte meine Abgeschiedenheit, um endlich einmal die Stapel von Informationen zu lesen, die Tom von seinem Bibliothekarsfreund zum Thema Reinkarnation bekommen hatte. Die Texte reichten von nebulösen New-Age-Schriften bis zu knochentrockenen akademischen Aufsätzen, aber das ganze Paket war dennoch sehr interessant. Besonders fasziniert war ich von den verschiedenen Weisen, auf die Menschen sich an vergangene Leben erinnerten.
Bei manchen, wie bei mir selbst, geschah es ganz unerwartet, aus heiterem Himmel heraus. Andere hatten als kleine Kinder ein lebhaftes Bewußtsein von früheren Leben, das sich aber mit dem Älterwerden verlor. Manchmal bedurfte es eines schweren Traumas oder einer Hypnosetrance, bevor Erinnerungen an die Oberfläche traten. Und manche Menschen … manche Menschen erinnerten sich nie …
»Ich fühle überhaupt nichts«, sagte Geoff düster, als die Woche ihrem Ende zuging. Wir standen im Innenhof und starrten auf den ordentlich gesäuberten weißen Stein hinab, dessen Ränder jetzt sauber abgestochen worden waren. Das Unkrautgestrüpp war unter Iains fachmännisch geführter Sichel gefallen und hatte zarte Büschel grünen Grases und ein paar niedrig wachsende Wildblumen freigegeben, die sich schutzsuchend an den Boden drückten. Geoff stopfte, seine Hände in die Hosentaschen und starrte noch angestrengter, so daß sich eine Falte zwischen seinen Brauen bildete. »Ich müßte doch bestimmt irgend etwas fühlen …«
Wir sprachen sehr wenig über das, was in der vorigen Woche geschehen war. Geoff schien über die ganze Sache nachzugrübeln und ließ sich Zeit, seine eigenen Gedanken und Gefühle zu erforschen. Von außen betrachtet, machten wir genauso weiter wie zuvor. Unsere Tage waren noch genauso voll und seine Berührung noch genauso warm, und seine Augen lächelten mich immer noch an, aber irgendwie hatte sich ein Teil von ihm von mir zurückgezogen. Ich ließ es jedoch dabei bewenden, einerseits, weil ich sicher war, daß auch dieser Teil wiederkehren würde, und andererseits, weil meine wachsende Besessenheit von Mariana Farrs Leben meine eigenen, geringfügigen Probleme überschattete.
Als der Tag von Rachels Hochzeit herannahte, kamen gesellige Aktivitäten sowieso nicht in Frage. Bevor das erste schwache Morgenlicht über den Hügeln heraufdämmerte, war ich schon auf und angezogen, nahm den Hörer vom Telefon und machte es mir bequem, um das Unvermeidliche zu erwarten.
Das Unvermeidliche ließ sich jedoch erst einmal Zeit. Der Tag begann als wunderbarer Samstag im Spätsommer unter einem ungewöhnlich blauen Himmel, aber als die Stunden vergingen, sammelten sich Wolken und die Sonne versteckte sich nach und nach hinter einem Schleier trüben Graus. Die Dunkelheit, die sich über den Nachmittag legte, war fast prophetisch, und der sachte Wind strich um meine Fenster mit der leisen Stimme einer heimlich weinenden Frau.
Ich fand Rachel in dem vollgestellten vorderen Schlafzimmer, das so lange das ihre gewesen war. Das schmale Bett war abgezogen und blank, keine Spuren von ihr waren mehr zu sehen. Sie würde ihre Hochzeitsnacht im verhältnismäßigen Luxus des Eckzimmers und dem großen Himmelbett, das meinem Großvater gehört hatte, verbringen. Es würde die letzte Nacht sein, die sie in diesem Haus schlief.
Wie ich die Tage ohne sie überleben sollte, wußte ich nicht, und der Gedanke daran lastete schwer auf meiner Seele. Ihre Gedanken, wußte ich, waren noch viel schwerer als meine, aber sie teilte sie nicht mit mir. Sie berührte das Fenster mit ruhiger Hand und starrte mit blinden Augen auf die Straße.
»Bei Anbruch der Nacht wird es regnen«, sagte sie, als sie mich in der Tür bemerkte. »Unsere Gäste werden naß werden.«
»Sie werden es wahrscheinlich kaum noch bemerken.« Ich trat in das Zimmer und schloß die Tür hinter mir, um den Lärm der Musik und des Feierns unten auszusperren. »Trotz Onkels Mißbilligung haben sie schon zwei Fässer von dem Bier getrunken, das er ihnen hingestellt hat.«
Sie lächelte schwach über die Neuigkeit. Sie trug immer noch ihr bestes Kleid aus blaßrosa Seide mit Rüschen und Stickereien, das einen fröhlichen Gegensatz zu der düsteren Kleidung ihres Gatten darstellte. Elias Webb hatte sich erwartungsgemäß als sauertöpfischer Bräutigam erwiesen, und in der Kirche am Morgen hatte selbst
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