Mariana: Roman (German Edition)
sehen, auf dem kalten Steinböden des schmalen Alkovens unter dem Turm; sein Kopf war gegen den Fuß des alten Taufbeckens gelehnt, sein Kinn in unbequemer Haltung auf seine Schulter gefallen. Zuerst hatte ich das Blut gar nicht bemerkt – man sah es nicht gleich auf dem schwarzen Stoff des Mantels – aber sein Hemd war steif davon, und der Geruch hing übelkeiterregend in meinen Nasenflügeln.
Seine Wunden waren tapfere Wunden, die er auf tapfere Weise erhalten hatte. Der König, hatte ich gehört, war rechtzeitig gewarnt worden und hatte mit Richard gegen die Verräter im Gefolge meines Onkels gekämpft und sie vertrieben. Vier Männer lagen tot in den Hügeln, der König befand sich sicher auf dem Weg nach Oxford, und Richard … ich wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Manche hätten gesagt, daß es ein angemessener Preis für das Leben eines Königs sei. Ich dachte nicht so.
Über unseren Köpfen blickten Heilige aus Glas unbewegt von dem steinernen Maßwerk des gotischen Fensters herab. Die Kirche wirkte irgendwie anders bei Nacht, und es war nicht die Kälte allein, die mich frösteln ließ. Auch Richard spürte es und lächelte schwach in dem flackernden Licht.
»Als ich noch ein Junge war«, erinnerte er sich, »fürchtete ich diesen Ort nach Sonnenuntergang. Ich glaubte, daß sich die Gräber unter meinen Füßen öffnen könnten, wenn ich auf sie trat. Und die Kanzel schien von den Geistern lange verstorbener Mönche und Priester zu wimmeln. Wenn ich meine Augen zu Schlitzen zusammenziehe, kann ich sie immer noch sehen, als ob sie mich heimsuchen wollten. Vielleicht möchten sie, daß ich mich ihnen anschließe.«
»Rede nicht so dumm«, sagte ich. Seine Stimme schien von sehr weit weg zu kommen, und das machte mir angst.
»Ich rede nur so daher«, beruhigte er mich und grinste. »Und ich halte es auch für unwahrscheinlich, daß die Priester einen Heiden wie mich unter ihrer Zahl willkommen heißen würden. Außerdem wird mein Geist genug damit zu tun haben, über dich zu wachen.«
»Du hast also vor, mich als Geist zu verfolgen?«
»Dessen sei sicher.« Seine Augen blickten voll Wärme in meine. »So schnell wirst du nicht frei sein von mir.« Sein Blick schweifte wieder ab, diesmal an meiner Schulter vorbei zum Altar. »Was für ein Mysterium ist der Tod«, sagte er langsam. »›Das unentdeckte Land‹ hat Shakespeare ihn genannt, und wir alle fürchten uns, in unbekannte Länder zu reisen. Aber fremde Gestade bergen doch sicher auch viele Möglichkeiten?« Er zog die Stirn in Falten. »Ich habe einmal einen Mann am Hof des französischen Königs getroffen, der behauptete, schon einmal zur Zeit der Römer gelebt und an Caesars Tafel gespeist zu haben. Ich hielt ihn damals für verrückt«, erinnerte er sich vage, »und wahrscheinlich war er das auch. Aber was ist, wenn er es nicht war?«
Ich erschauerte wieder. »Müssen wir vom Tod reden?«
»Wenn es stimmt, daß Menschen Seelen haben, die nach ihrem Tod weiterleben«, fuhr er fort, meinen Einwand ignorierend, »und wenn diese Seelen wieder in ein neues Leben geboren werden, dann mußt du keine Angst haben, daß mein Geist dich verfolgt. Ich werde dich dann statt dessen in Fleisch und Blut verfolgen.«
Mein Blick war skeptisch. »Und wie würde ich dich, bittesehr, in einem anderen Körper erkennen?«
»Das ist ganz einfach.« Er hob mit Mühe seine Hand und drehte die Finger zu mir, so daß ich den reichverzierten Ring sehen konnte, den er immer trug. »Schau her und denk daran. Es ist der mit der Haube versehene Falke der de Mornays. Die Haube mag ihn blind machen, und doch sieht er klarer als die Sehenden.«
»Du willst sagen, daß ich meinem Herzen vertrauen soll.«
»Nicht nur deinem Herzen. Deiner Seele.« Seine Hand griff fest nach der meinen. »Fühle das, meine Liebste. Nichts kann uns trennen. Wir sind zwei Hälften eines Ganzen, du und ich. Die Falken paaren sich fürs Leben, und unser Leben fängt gerade erst an. Glaubst du denn«, sagte er lächelnd, »daß ich ein so geringfügiges Ding wie das Grab zwischen uns treten lasse?«
»Ich will dich nicht verlieren.« Meine Stimme schwankte.
Seine große Hand lockerte ihren Griff. »Nimm diesen Ring von meinem Finger.«
»Richard …«
»Nimm diesen Ring«, wiederholte er, »und behalte ihn bei dir.«
Sein Ton duldete keinen Widerspruch, also gehorchte ich und zog den Ring von seinem ausgestreckten Finger. Der Ring war kalt, so kalt wie seine Hände, und ich hielt
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