Mariana: Roman (German Edition)
Pearce glitt geräuschlos hinein und hinaus, brachte Tee und Teller mit Brötchen und ließ die Überbleibsel wieder verschwinden, ohne meine Geschichte auch nur einmal zu unterbrechen, während mein Bruder schweigend in seinem Sessel saß und zuhörte. Als ich geendet hatte, lehnte er sich zurück und runzelte nachdenklich die Stirn.
»Diese … Erlebnisse«, sagte er schließlich, »kommen sie plötzlich, oder erhältst du vorher irgendeine Form von Warnung?«
Ich bemühte mich, zurückzudenken. Mein erster Impuls war zu antworten, daß es nicht die geringste Warnung gab, aber … »Manchmal höre ich ein Klingen in den Ohren oder fühle mich ein wenig schwindelig. Oder beides.«
»Und du bist eindeutig eine aktive Teilnehmerin an der Handlung. Du hast nicht das Gefühl, im Publikum zu sein und einem Theaterstück zuzusehen?«
»Eindeutig nicht. Ich fühle mich noch nicht mal wie das Mitglied eines Ensembles, um genau zu sein. Schauspieler haben Drehbücher und Rollentexte, aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, was als nächstes passieren wird. Es ist genau wie im richtigen Leben … genau wie jetzt .« Ich breitete die Hände mit nach oben gewandten Handflächen aus, in einer Geste, die das Zimmer und uns beide umfaßte. »Selbst Zeit und Raum verhalten sich wie in Wirklichkeit. Ich gehe offensichtlich auch herum, denn es begann vor dem Haus letzte Nacht, und heute morgen fand ich mich im Atelier wieder.«
Tom dachte darüber nach. »Und wenn du diese Erfahrungen machst, erinnerst du dich überhaupt nicht mehr daran, Julia Beckett zu sein?« Ich schüttelte den Kopf. »Aber wenn du wieder zurück bist, kannst du dich deutlich daran erinnern, diese andere Frau gewesen zu sein?«
»Ich kann mich an alles erinnern.«
»Wenn wir die Hypothese des Wahnsinnigwerdens einmal für den Moment außer acht lassen«, sagte er langsam, »was glaubst du denn, was geschieht?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich denke … ich denke, es könnte mit dem Geist zusammenhängen.«
»Diese Grüne Frau, von der sie alle reden, meinst du?«
Ich nickte. »Das Kleid, das ich letzte Nacht trug, als ich … sie war … als ich Mariana war … war grün. Ich weiß nicht. Könnte ein Geist Besitz von einem lebenden Menschen ergreifen, meinst du?«
»Ich bin schwerlich eine Autorität auf diesem Gebiet«, gab Tom zu. »Vielleicht ist so etwas möglich, aber in deinem Fall halte ich es nicht für wahrscheinlich. Es sei denn, der Geist ist dir vergangenes Wochenende nach London gefolgt.« Er zog die Stirn in Falten: »Es gibt da eine Möglichkeit, die du noch nicht in Betracht gezogen hast.«
»Und die wäre?«
Er hob den Kopf und sah mich an. »Daß alles, was du siehst, alles, was du erlebst, aus deiner eigenen Erinnerung stammt. Daß du tatsächlich Mariana bist .«
»Das ist nicht dein Ernst.«
»Warum nicht? Wiedergeburt ist in vielen Kulturen ein als selbstverständlich geltendes Phänomen. Es gibt sogar ein paar angesehene Obere der anglikanischen Kirche, von denen ich weiß, daß sie diese Theorie unterstützen.«
»Und was glaubst du?« fragte ich ihn herausfordernd.
»Nun ja«, lächelte er, »es gehört zu den Voraussetzungen meines Berufs, daß ich an das ewige Leben der menschlichen Seele glaube. Doch wohin diese Seele nach dem Tode geht, ist eine Frage, die nur die Toten beantworten können.«
»Du glaubst also, daß ich in einem vergangenen Leben schon einmal in diesem Haus gewohnt haben könnte?« Es klang lächerlich, aber Toms Gesicht war ernst.
»Ich glaube, daß es eine Idee ist, der es sich nachzugehen lohnt, ja. Denn wenn du das Gefühl hast, schon einmal irgendwo gewesen zu sein, ist die logische Erklärung gewöhnlich, daß du schon einmal dort gewesen bist .«
Ich runzelte die Stirn. »Das würde erklären, warum ich von dem Haus so angezogen wurde, vermute ich.«
»Und warum du wußtest, wo der alte Garten einst war. Und warum du dein Atelier in dem kleinen Hinterzimmer eingerichtet hast, statt eines der größeren vorderen Zimmer zu wählen.«
Als er diese Worte sprach, entstand eine verschwommene Szene vor meinen Augen, in der der junge Möbelpacker mich mit verwirrter Stimme fragte: »Sind Sie sicher, daß Sie das erste Zimmer auf der rechten Seite meinen?«
Ich zwang mich mit einem Ruck wieder in die Gegenwart. »Mein Gott«, sagte ich schwach.
»Ich könnte versuchen, mehr über dieses Thema für dich herauszufinden«, bot Tom an. »Wir haben hier einen wunderbar exzentrischen
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