Mariana: Roman (German Edition)
dort mit dem Saubermachen beginne?«
»Nein, danke.« Ich lächelte sie an. »Bett klingt himmlisch.«
»Großartige Frau«, bemerkte Tom, als sie wieder gegangen war. »Ich wette, noch nicht einmal der Gutsherr von Exbury erfährt eine solch zuvorkommende Behandlung von seinen Angestellten.«
»Oh Gott!« Ich sprang auf. »Wieviel Uhr ist es?«
»Gerade Mittag vorbei. Warum?«
»Kann ich mal telefonieren?«
Es brauchte mehrere Minuten, bis ich die Nummer von Crofton Hall über die Auskunft erfahren hatte, weitere Minuten, bevor ich eine Verbindung erhielt, und achtmaliges Läuten, bevor jemand am anderen Ende den Hörer abnahm.
»Hallo?«
»Hallo. Ist dort Geoff?«
Es entstand eine kleine Pause. »Nein, tut mir leid«, sagte die Stimme bedächtig und mit einem unverwechselbaren schottischen Akzent. »Er ist im Moment nicht zu Hause. Kann ich etwas ausrichten?«
»Iain«, antwortete ich, »ich bin es, Julia Beckett. Könntest du Geoff bitte ausrichten, daß ich es zur Besichtigung heute nachmittag nicht schaffe? Er weiß dann Bescheid. Es hat einen … kleinen Familiennotfall gegeben, und ich mußte zu meinem Bruder nach Hampshire fahren.«
»Hoffentlich nichts Ernstes?«
Er klang besorgt, und ich fühlte mich schuldig wegen der Lüge.
»Nein, nein«, gab ich zurück. »Ich denke, ich bin morgen vormittag wieder zu Hause.«
»Ist gut. Ich werde es ihm ausrichten.«
»Danke.« Ich legte den Hörer einigermaßen erleichtert auf und stellte fest, daß mein Bruder mich beobachtete, als ich mich umdrehte.
»Ist alles in Ordnung?« fragte er.
»Ja, alles bestens.«
»Dann wollen wir dich mal ins Bett bringen. Du siehst aus, als ob du gleich umfällst.«
In bemerkenswert kurzer Zeit fand ich mich sorgfältig Zugedeckt zwischen den kühlen, frisch duftenden Laken des breiten Messingbettes im blauen Gästezimmer im ersten Stock wieder und steckte zusätzlich in einem der reichlich großen Nachthemden meines Bruders, dessen Ärmel ich aufrollen mußte. Mrs. Pearce hatte die Jalousien heruntergelassen, um das Zimmer zum Schlafen abzudunkeln, aber es war noch hell genug zum Lesen.
Ich seufzte angenehm schläfrig und griff mit träger Hand nach dem kleinen Buch, das ich auf dem Nachttisch abgelegt hatte. Ich öffnete das Tagebuch von Samuel Pepys an einer beliebigen Stelle und las den Eintrag vom 6. April 1665:
Überall Gerede von einem neuen Kometen , hatte er geschrieben, er soll mindestens genauso hell erstrahlen wie der letzte; aber ich selbst habe ihn noch nicht gesehen. Zwei Kometen …
Ich rutschte unwillkürlich in den Kissen hin und her, und mein Nacken prickelte, als hätte eine eisige Hand darübergestrichen. Müdigkeit und Erschöpfung waren vergessen, ich umfaßte das Buch fester und begann zu lesen.
Kapitel zehn
Ich hatte erwartet, alles mögliche zu empfinden, als ich am nächsten Morgen zurück nach Exbury fuhr. Besorgnis auf jeden Fall, aber auch Angst oder sogar Aufgeregtheit. Doch ich war völlig unvorbereitet auf das Gefühl vollkommener Heiterkeit, das sich, noch bevor die Turmspitze der Kirche meines Bruders im Rückspiegel von den Bäumen verschluckt worden war, wie eine wärmende Decke um mich legte. Es war ein sehr intensives Gefühl, beruhigend und alles durchdringend. Und ganz und gar irrational, angesichts der verstörenden Ereignisse vom Vortag.
Mechanisch reagierte ich auf die unberechenbaren Manöver der anderen Autofahrer, die sich durch den Berufsverkehr schlängelten, während meine Gedanken müßig zum vergangenen Tag zurückwanderten.
Ich hatte fast ein ganzes Jahr aus Pepys’ Tagebuch gelesen, bevor die Müdigkeit mich schließlich besiegte. Als ich wach wurde, war es später Nachmittag, und die durch die halbgeöffneten Fenster hereinströmende Luft duftete wunderbar rein und frisch. Meine Kleider waren von Mrs. Pearce gewaschen und gebügelt worden und lagen über einem Stuhl neben dem Bett wie eine wartende Spielgefährtin. Ich stand auf, badete und ging hinunter, um meinen Bruder zu suchen.
Ich fand ihn in dem langgestreckten Patio hinter dem Haus, wo er gedankenverloren auf einem Bleistift kaute und mit blickleeren Augen auf den weitläufigen, gepflegten Rasen starrte. Beim Geräusch meiner Schritte tauchte er aus seinen Gedanken auf, sah mich lächelnd an, nahm den Bleistift aus dem Mund und legte ihn auf das aufgeschlagene Notizbuch auf dem kleinen Tisch neben sich.
»Na, du siehst ja wirklich besser aus«, begrüßte er mich. »Vielleicht solltest du
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