Mariana: Roman (German Edition)
Detail.«
Dort stand tatsächlich die Leiter, die bis zum obersten Regalbord reichte und auf kleinen Walzrädern entlang der polierten Messingschiene geschoben werden konnte. Es sah aus wie in einer Filmkulisse, ich konnte kaum glauben, daß es so etwas wirklich gab, und wollte meinem Entzücken gerade Ausdruck verleihen, als ein anderer Gegenstand in derselben Ecke meine Aufmerksamkeit erregte. Ich erstarrte und meine Kehle zog sich wie im Krampf zusammen.
»Richard?« flüsterte ich mit seltsam gebrochener, undeutlicher Stimme.
»Wie bitte?« Geoff trat vor mich, so daß er in meinem Gesichtsfeld stand, aber ich konnte nicht anders als weiter über seine Schulter hinweg auf das große, dunkle Porträt zu starren, das an der gegenüberliegenden Wand hing. Das Porträt eines hochgewachsenen Mannes mit wissenden Augen und einem arroganten Lächeln, ein Mann mit dunklen Haaren und schwarzer Kleidung und einem über eine Schulter geworfenen Umhang, der mit der freien Hand ein glänzendes Schwert umfaßte …
Ich befeuchtete meine Lippen und versuchte es noch einmal, indem ich die Worte sorgfältiger aussprach. »Das Bild …«, begann ich und deutete mit dem Kopf darauf.
Er drehte sich um und sah hin. »Ach das. Wir haben ihn den ›Playboy‹ getauft. Er war in der Hauseinrichtung enthalten. Es könnte der alte Arthur de Mornay selbst sein, oder vielleicht sogar sein Vater. Die Ähnlichkeit ist bemerkenswert, findest du nicht?«
Ich mußte nicht fragen, auf welche Ähnlichkeit er sich bezog. Es hätte ein Porträt von ihm selbst sein können, das dort hing. Ich blickte von dem Bild zu Geoff und wieder zurück, mit aufgerissenen Augen.
»Es ist von Lely«, fuhr er fort, als ob das alles zur Führung gehörte. »Er hatte einen ziemlich individuellen Stil.«
Ein sanftes, entschuldigendes Klopfen an der Tür hinter uns unterbrach die nachdenkliche Stille und ließ uns beide herumfahren, wie zwei schuldbewußte Schulkinder. Eine große, ältere Frau stand in der offenen Tür. Die sauber gebügelte Schürze über ihrem schlichten blauen Kleid und das klassische Arrangement ihres grauweißen Haares boten ein Bild ruhiger, wohlgeordneter Tüchtigkeit, und ihr Gesicht mit den lächelnden blauen Augen und dem freundlichen Ausdruck kam mir merkwürdig bekannt vor.
Aber sie sah nicht mich an, sondern Geoff.
»Da ist ein Anruf für dich«, verkündete sie mit angenehm melodischer Stimme. »Ich hätte dich deswegen nicht gestört, aber es ist Mr. McCandless vom Werk in Manchester, und er klang recht dringlich.«
»In Ordnung.« Geoff zog eine Grimasse. »Ich gehe ran. Danke Freda. Oh«, fiel es ihm plötzlich ein, »kennt ihr euch schon? Julia Beckett, Alfreda Hutherson, meine Haushälterin.«
Wir lächelten einander an und gaben uns die Hand, und dann erinnerte ich mich. »Wir sind uns schon begegnet«, sagte ich. »Sie sind zu meinem Haus gekommen, um mich willkommen zu heißen.«
»Das stimmt«, antwortete die ältere Frau. »Sie haben sich inzwischen gut eingerichtet, ja?«
»Ja, danke.«
Geoff berührte leicht meine . Schulter, im Begriff, an uns vorbeizueilen: »Ich nehme nur schnell dieses Gespräch an, einverstanden? Geht ganz schnell.«
Mrs. Hutherson ging einen Schritt zur Seite, um ihn vorbeizulassen, trat dann wieder nach vorn und legte den Kopf zur Seite, als sie zuerst mich und dann das dunkle Bildnis in der Ecke ansah.
»Ein schönes Bild, nicht wahr?« bemerkte sie, und ich nickte.
»Sehr schön.«
»Ein äußerst gutaussehender Mann.«
»Ja.«
Sie richtete ihre Augen wieder auf mich, und für einen Augenblick verspürte ich ein merkwürdiges Gefühl der Nacktheit, als ob sie mir direkt ins Herz hinein sähe. Es war nur ein Augenblick, und dann war da wieder nur eine ältere Dame mit freundlichen blauen Augen, die mich ansah.
»Schade, daß niemand weiß, wer er ist«, sagte sie. »So ein schöner Mann und eine so schneidige Gestalt. Jemand muß ihn einmal geliebt haben.«
Sie sah mich wieder an und lächelte.
»Sie müssen mich jetzt entschuldigen, ich muß noch die Fenster im ersten Stock putzen. Ich hoffe, Sie haben noch eine schöne Führung.«
Ich mußte mich räuspern, bevor ich antworten konnte. »Danke.«
Sie nickte huldvoll und entschwand, ihre Schritte hallten in gelassener Gleichmäßigkeit auf dem polierten Holzfußboden des langen Korridors wider. Seltsam, daß weder Geoff noch ich sie kommen gehört hatten, dachte ich.
Allein in dem wunderbaren, ruhigen Zimmer, blickte ich
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