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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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setzte sie sich an einen der Tische auf der Straße, genoß die milde, würzige Luft und beobachtete den faszinierenden, nicht abreißenden Strom der Passanten, der zwischen ihr und den auf dem Damm dahinflitzenden, lärmenden Autos vorbeizog.
    Todschicke Damen in teuren Kleidern führten ihre Hunde spazieren; alte, gebeugte Frauen, deren Aussehen und Kleidung so trist war wie ihr Leben, zogen vorbei; Bauernburschen, mit schrägsitzenden Hüten und weiten Mänteln, die von den Schultern so gerade auf die Füße herabfielen, als hingen sie auf einem Bügel; Touristen — die Deutschen häßlich, genau wie die meisten Engländer, die sich lautstark in ihrer Heimatsprache unterhielten; interessant aussehende, düster dreinblickende Herren mit verkniffenen Lippen, die eine Aktentasche unter dem Arm trugen und offenbar in einer geheimen diplomatischen Mission unterwegs waren; alte Damen in strengem schwarzen Satin; junge Mädchen — Stenotypistinnen und Verkäuferinnen — eleganter als die eleganteste Debütantin in London; abscheulich angezogene Kleider, kleine Jungens in Kniehosen und langen, schwarzen Strümpfen und hohen Stiefeln, und kleine Mädchen, die wie Miniatur-Modepuppen aussahen; ein paar Soldaten mit schief sitzenden Käppis und wehenden blauen Capes.
    Mary saß da und betrachtete alle mit Begeisterung, bis die Sonne unterging und es Zeit wurde, nach Passy zurückzukehren, um die schäbigen Reste des Mittagessens als Abendbrot zu sich zu nehmen.
    Sie war gern allein inmitten dieser Menge und fühlte sich doch als ein Teil des pulsierenden Lebens um sich herum. In Paris konnte man sich ausgesprochen zu Hause fühlen.
    Im Anfang war sie öfter allein ins Kino gegangen, aber das gab sie auf, nachdem einmal die dreist tastende Hand eines Mannes irgendwo aus dem Dunkel aufgetaucht war. Da ging sie lieber in die Cafés.
    An einem wunderschönen Abend, nach einem regnerischen Tag, saß sie im . Die Luft war feucht und frisch wie die Veilchen, die ein kleiner Junge im schwarzen Overall an den Tischen verkaufte. Mary fühlte sich zum erstenmal so angezogen, wie es sich für Paris gehörte. Sie trug ihr erstes in der École Flambert angefertigtes Modell — ein dunkelblaues Kleid mit einem dazu passenden, weiß gepaspelten Jäckchen. Es war entsetzlich viel Arbeit gewesen, aber die Mühe hatte sich gelohnt. Am Morgen war ihr Monatswechsel von ihrer Mutter eingetroffen, und so hatte sie auf dem Kopf einen großen blauen Matrosenhut mit Pariser Schick, von dem ein weißes Band hinten über ihre dunklen Haare herabhing.
    Im allgemeinen ignorierte sie es, wenn jemand sie ansprach. War der Betreffende allzu aufdringlich, so stand sie auf und ging einfach davon. Aber als an diesem Abend eine ruhige Stimme hinter ihr «Bon soir, Mademoiselle», sagte, fuhr sie herum. Die Stimme klang anders als die der Männer, die ihr sonst in den Straßen von Paris etwas ins Ohr zu raunen pflegten, der Kerle mit verschlagenen Augen und pockennarbiger Haut. Als sie sich umwandte, sah sie einen gepflegten jungen Mann. Er war dunkel, aber seine Haut war glatt, und sein Lächeln, das sie flüchtig an Maurice Chevalier erinnerte, war charmant.
    «Guten Abend», sagte sie und erwiderte sein Lächeln, während sie sich überlegte, ob ihr Benehmen in den Augen anderer Leute nicht ganz unmöglich sei. Aber wie konnte sie jemanden ignorieren, der so nett aussah? Er saß direkt hinter ihr, erhob sich und trat an ihr rundes eisernes Tischchen.
    «Vous permettez?» fragte er, legte seine Hand auf die Lehne des anderen Stuhles, nahm die Füße zusammen und verbeugte sich leicht. Er war sehr höflich, aber er lächelte dabei spitzbübisch und vielversprechend.
    Mary zuckte die Achseln mit einer, wie sie hoffte, sehr damenhaften und typisch französischen Bewegung. «Comme vous voulez», sagte sie etwas schnippisch.
    «Ach», sagte er und nahm schleunigst Platz, «Sie sind Amerikanerin?» Darauf kam er wohl, weil sie ihren Hut so weit auf dem Hinterkopf trug.
    «Nein», sagte sie, «ich bin Engländerin.»
    «Aber das ist ja wundervoll.» Er beugte sich vor. «Hoffentlich finden Sie es nicht unverschämt von mir, daß ich Sie angesprochen habe. Ich weiß, in England tut man so etwas nicht, aber ich habe Sie schon lange beobachtet, und da ich auch allein bin, dachte ich, daß es zu zweit — vergnüglicher wäre.» Er sprach ein vorzügliches Englisch, und der ganz leichte Akzent verlieh ihm nur einen zusätzlichen Reiz. Mary, die nicht recht

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