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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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ab.
    Ihre Mutter war mit Großpapa und Tante Winifred im Daimler vorausgefahren. Das Auto wurde von Jahr zu Jahr einem Leichenwagen ähnlicher, und Linney — der das neue Ampelsystem mit unüberwindlichem Mißtrauen betrachtete — hatte dank seiner Fülle immer größere Schwierigkeiten, sich hinter das Lenkrad zu quetschen.
    Mit Sandwiches, Sprudel und einer Flasche Bier versehen war Onkel Geoffrey mit Lucienne nach Whipsnade gefahren, wo sie und die Bisons sich gegenseitig in ihre Kuhaugen starren konnten.
    Mary war allein zu Haus, als Pierre vorfuhr und so laut hupte, daß die Langschläfer in der Marguerite-Street ihren Kopf erbost aus dem Fenster steckten. Er trug einen hocheleganten, rehbraunen Anzug mit Nadelstreifen und braunseidenem Taschentuch in der Brusttasche, ein beigefarbenes Hemd und eine beige und braun gemusterte Fliege. Seine Schuhe waren sehr spitz, und auf dem Kopf trug er das Hütchen mit dem zu kleinen Rand. Mary war ohne Hut und ohne Strümpfe, in einem weißen Leinenkleid mit einem kurzen roten Jäckchen. Einen Augenblick war sie im Zweifel, ob er richtig und sie zu salopp angezogen war . Als sie ihm die Tür öffnete, war sie bereit zur Abfahrt, aber er schob sich an ihr vorbei und trat in die Diele, warf Hut und Handschuhe auf einen Tisch und umarmte sie voller Leidenschaft. Ein Duft von teurem, aber ganz unerotischen Eau-de-Cologne strömte von ihm aus.
    Zum erstenmal wehrte Mary sich, sie wandte den Kopf ab, sobald er ihren Mund freigab, und schlüpfte aus seinen Armen.
    «Na, na», sagte er, «nicht so schüchtern, Baby. Komm, wir setzen uns aufs Sofa.» Und damit versuchte er sie ins Wohnzimmer zu ziehen.
    «Nein, Pierre, jetzt nicht», sagte sie und fuhr ihm übers Haar. «Ich hab doch gerade erst gefrühstückt.» Sie empfand selbst, wie lächerlich das klingen mußte, aber genauso war ihr zumute. «Wir sollten jetzt losfahren», fügte sie etwas gequält hinzu. Es war das erste Mal, daß sie keine Lust hatte, ihn zu küssen, und diese Entdeckung erschreckte sie.
    «Ach so», sagte er und schob seine Maurice Chevalier-Lippe rechthaberisch vor, «ich darf dich also nicht küssen, wann ich will, hm?» Dieses Mal packte er fester zu, und sie wehrte ihn ab, beinah weinend vor Ärger, halb über sich selbst, halb über ihn und den von ihm so falsch gewählten Augenblick.
    Ganz plötzlich ließ er sie los. «Herrgott noch mal», sagte er wütend, «ich werde doch keine Frau küssen, die so tut, als ob ich schlecht rieche. Los, komm.» Er nahm seinen Hut und stapfte die Stufen hinunter, hielt wortlos die Autotür für sie auf und warf sich dann auf der anderen Seite in seinen Sitz.
    Er fuhr schlecht und sehr riskant, die Reifen quietschten, als er sich in King’s Road kreuz und quer durch den Feiertagsverkehr schob. Fahrer mit zornroten Gesichtern machten, wenn auch erfolglos, ihrem Ärger Luft, und Mary saß ganz verkrampft auf ihrem Sitz, entschlossen, ihre Angst nicht zu zeigen. Als sie auf Great West Road waren, gab er Gas und schäumte jedesmal vor Wut, wenn die Ampel auf Rot zeigte und er mit kreischenden Bremsen stoppen mußte. Mary warf einen verstohlenen Blick auf sein verbissenes Gesicht unter dem schief aufgesetzten Hut. Er sah aus wie ein Schuljunge, dem man gerade gesagt hatte, daß er zum Geburtstag kein Fahrrad bekäme. Lange Zeit kämpfte sie mit sich, bevor sie es schließlich fertigbrachte, sich zu entschuldigen. Es kostete sie eine gewaltige, fast körperliche Anstrengung, die mit jeder Sekunde, um die sie es hinausschob, größer wurde.
    Endlich streckte sie die Hand aus, legte sie auf sein Knie und sagte mit kleiner Stimme: «Entschuldige, Pierre, es war sehr dumm von mir.» Er knurrte etwas Unverständliches und sah weiter geradeaus.
    Da sie die Harmonie zwischen ihnen beiden gern wiederherstellen wollte, demütigte sie sich noch tiefer. «Es tut mir schrecklich leid, Pierre, wirklich. Ich hab’s nicht so gemeint. Du weißt doch, du kannst mich küssen, wann und so oft du willst.»
    Seinen Triumph genießend, ließ er sich schließlich erweichen, und um des lieben Friedens willen gönnte sie ihm das erhebende Gefühl, im Recht zu sein.
    Bald darauf begann er zu singen und fuhr zufrieden und vorsichtig Jurch Staines, und als ein Polizist sie anhielt, beugte er sich zu ihr hinüber und küßte sie.
    Wie vorsichtig würde sie sein müssen, dachte sie, um in ihrer Ehe Streit zu vermeiden. Eine Ehe, in der sich Krach und Versöhnung dauernd abwechselten, was manchen

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