Mariana
jede Stelle an ihrem Körper, die weh tun konnte, wie wahnsinnig schmerzte. Sie stöhnte und glaubte ihn sagen zu hören: «Mein armer Liebling», aber ihr war so schwindlig, daß sie nicht sicher war. Ein schneidender Schmerz durchfuhr sie, und sie fühlte, daß sie sich entweder übergeben müsse oder ohnmächtig würde. Nie erfuhr sie, was tatsächlich geschah.
Sie lag auf einem Bett. Der Schmerz und das Schwindelgefühl waren verschwunden und mit ihnen auch das kleine, spitze, graue Gesicht mit den buschigen Augenbrauen und der tiefen, polternden Stimme. Ach nein, da war die Stimme ja wieder, im Nebenzimmer: «Wenn Sie sich um den Transport mit dem Krankenwagen kümmern, dann fahre ich schnell mit meinem Wagen ins Krankenhaus voraus und sorge dafür, daß alles bereit ist.» Wovon in aller Welt sprachen die eigentlich?
«Gut, Doktor.» Das war Sams Stimme. Er kam mit ihrem Mantel in der Hand herein — sie konnte sich gar nicht erinnern, ihn ausgezogen zu haben — , setzte sich auf das Bett und hob sie ein wenig an, um ihn ihr umzuhängen. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und gab ihm einen Kuß, weil sie ihm so dankbar war, daß die Schmerzen fort waren und sich in ihrem Kopf nicht mehr alles drehte.
«Danke», sagte er und lachte, und plötzlich war ihr Kopf ganz klar, und sie erkannte, daß sie das nicht hätte tun dürfen. Wo war sie eigentlich? Sie setzte sich auf und sah sich im Zimmer um. Es hatte eine ausgesprochen männliche Note, war unordentlich und mit altmodischen Möbeln eingerichtet. In seiner Art war es nett, aber natürlich ganz anders als ihr blau-weißes Schlafzimmer.
«Ich möchte nach Haus», sagte Mary. Er knöpfte ihr den Mantel am Hals zu und machte ein ernstes Gesicht dabei.
«Sie sollen auch nach Haus», sagte er, «aber auf dem Weg müssen Sie sich erst mal den Blinddarm rausnehmen lassen.» Er stand auf, beugte sich über sie und lächelte. «Dann wollen wir mal», sagte er und hob sie so vorsichtig hoch, als sei sie aus Porzellan.
Als sie aus der Narkose wieder zu sich kam, hatte sie den Chirurgen geküßt, einen Mann mit dünnen Lippen und einem bläulichen Kinn, ein Typ, der normalerweise nicht sonderlich zum Küssen einlud. Als ihr einfiel, daß sie das gleiche unverzeihlicherweise auch bei jemand anderem getan hatte, brach sie in Tränen aus und schluchzte verzweifelt und hemmungslos, bis sie völlig erschöpft war und längst vergessen hatte, warum sie eigentlich weinte. Als ihre Mutter sie zu trösten versuchte, sagte eine der Krankenschwestern: «Ach, das ist immer so, wenn sie zu sich kommen, Mrs. Shannon. Entweder heulen sie, oder sie lachen, als ob sie betrunken sind. Das hat nichts zu bedeuten.»
Mary lag in einem hübschen, kleinen Zimmer, blitzsauber und weiß. Ein blauer Sessel stand darin, und an der Wand gegenüber vom Bett hing ein wohltuend heiteres Bild. Es zeigte einen sehr grünen Wald mit einer Lichtung, deren Boden mit einem Meer von leuchtend blauen Glockenblumen übersät war, zwischen denen eine Frau mit einem roten Sonnenschirm saß. Mary betrachtete stundenlang die einfachen Farben des Bildes und ließ ihre Gedanken wandern, so beschaulich und genießerisch, wie man es sich im Alltag zeitlich niemals leisten konnte. Schmerzen hatte sie kaum noch, und man gab ihr etwas ein, womit sie nachts herrlich schlief. Es war sehr friedlich, denn selbst Krankenschwestern konnten nicht fortwährend reden.
Im Anfang durfte sie niemand außer ihrer Mutter besuchen, die so oft kam, wie sie aus dem Geschäft wegkonnte.
«Ich fürchte, du mußt dich auf einen fürchterlichen Ansturm von Tanten und Kusinen gefaßt machen», sagte Mrs. Shannon erbost, «die rufen den ganzen Tag an. Sie meinen’s ja gut, aber es geht einem auf die Nerven.» Sie spazierte ruhelos auf und ab. Behaglich stillzusitzen lag ihr nicht, und so wanderte sie umher, hob etwas hoch, legte es wieder hin, steckte hier und dort eine Blume fester, beugte sich über den Toilettentisch, um sich die Nase zu pudern oder eine Locke mit einem feuchten Finger anzudrücken.
«Erzähl mir ein bißchen Familienklatsch», sagte Mary, die ihrer Mutter vom Bett her mit den Augen folgte, «irgendwas gibt’s doch bestimmt.»
«Warte mal, ach ja, ich wußte doch, ich wollte dir was erzählen. Mavis — die arme Mavis, die hat wirklich das meiste Pech mit ihren Kindern — sagt, daß Julia sich in den Sänger einer Tanzkapelle verliebt hat. Er schickt ihr Zettelchen, und wenn sie vorbeitanzt, dann flüstert er
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