Mariana
eifersüchtig auf jeden Mann bin, der dich auch nur angesehen hat. Ich könnte sie alle umbringen. Aber es ist komisch, ich will nichts von ihnen hören.» Mary schwieg und lauschte seiner geliebten, beruhigenden Stimme, als er weitersprach.
«Ich werde dir auch nichts von mir erzählen», sagte er, «weil es ebenso unwichtig ist. Etwas möchte ich dir sagen. Es ist merkwürdig, aber bei allen früheren Erlebnissen war es, als hätte ich schon immer von dir gewußt. Ich hab mich nie jemandem ganz überantwortet, weil ich spürte, daß es noch nicht die Endgültige war, daß ich dich erst finden mußte.»
«Aber Sam», sie drehte sich um und sah ihn an, «genauso ist es bei mir gewesen. Ich habe immer gewußt, daß der liebe Gott für mich noch etwas Besonderes aufgehoben hat. Ich lief herum mit einem Herzen voller Liebe, das für dich bestimmt war, und auf dem Weg zu dir hab ich aus Versehen bei diesem oder jenem etwas davon verschwendet, das war alles.»
Sie betrachtete sein Gesicht, als könne sie sich nicht satt daran sehen. «Liebster», sagte sie, «ich wünschte, wir wären schon vom Tage unserer Geburt an zusammengewesen, das heißt, von dem Tag meiner Geburt an, denn da warst du ja schon zehn. Das wollen wir nachholen, wir wollen keine Minute mehr vergeuden.»
«Das werden wir auch nicht. Aber wir haben unendlich viel Zeit. Unser ganzes Leben —» Er küßte sie. «Komm, mein Kleines», sagte er und zog sie hoch, «hier ist es zu kalt für dich. Es ist besser, wir gehen jetzt, sonst ängstigt sich deine Mutter und denkt, du wärst mit mir durchgebrannt.»
Auf dem Rückweg kehrten sie in der winzigen Kneipe am Kai ein. Der getäfelte Schankraum, in dem man wie in einer dunklen, kleinen Schachtel saß, hing voller Bilder vom Hafen, manche realistisch, manche surrealistisch und manche ganz einfach scheußlich.
St. Justin’s galt als Künstlerparadies, was nichts weiter bedeutete, als daß man — wenn man wollte — grasgrüne Hosen und blaue Russenkittel tragen konnte, ohne aufzufallen. Als Sam und Mary mit eingezogenem Kopf durch die niedrige Tür traten, standen zwei junge Männer an der Bar, deren Aufzug im Hyde-Park wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses sicherlich zu ihrer Verhaftung geführt hätte. Außer ihnen war noch ein schmutziger, bärtiger, alter Mann da, dessen Hut genauso lächerlich war wie sein Gebiß, und ein paar Malertypen, die aussahen, als habe ein Filmproduzent sie engagiert, damit sie für Lokalkolorit sorgten.
Der alte Mann, der in der Wirtschaft saß, seit sie am Vormittag geöffnet hatte, bestand darauf, daß sich alles kennenlernte, und Sam gab eine Runde aus und verkündete, daß Mary und er heiraten würden. Diese Mitteilung erregte allgemeine Begeisterung und mußte natürlich erneut begossen werden. Der Alte weinte fast vor Rührung, und der schmächtigste und bleichste dieser Künstlerschar stammelte aufgeregt, wenn auch ein bißchen wehmütig, daß das ja alles geradezu unglaublich normal sei. Bevor sie gingen, stellte sich heraus, daß der alte Mann der einzige wirkliche Könner unter ihnen war. Er zeigte Mary eins seiner Bilder, ein bezauberndes Gemälde: Ein Fischerboot, das im Sonnenlicht aus dem Hafen gleitet. Die Farben waren von durchsichtiger Klarheit, und man konnte unmöglich glauben, daß es sich um das Werk eines Mannes handelte, dessen Kleider so aussahen, als hätten sie seinen Körper befallen wie eine böse Krankheit.
Er gefiel Mary. Es störte sie auch nicht, daß er mit seiner schwieligen Hand ihr Knie tätschelte und sie «Kleines Mädchen» nannte. Sie fand sie alle nett in dem muffigen, komischen, kleinen Lokal, einfach deswegen, weil mit Sam zusammen alles Spaß machte. Er machte das Leben so leicht, weil er immer, ohne Überlegung, ganz intuitiv, wußte, wie man mit den Menschen umgehen mußte. So würde es von jetzt an immer sein. Sie war geborgen. Niemals wieder würde sie dieses Gefühl von Einsamkeit empfinden, das sie inmitten vieler Menschen heimlich an Flucht denken ließ. Mit ihm zusammen machte es Spaß, unter Menschen zu sein, und es war schön, dann allein mit ihm fortzugehen. Es war schön, in dem kalten Sonnenschein dahinzuschlendern und sich über die Leute, die man gerade verlassen hatte, mit einem Menschen zu unterhalten, der genauso empfand wie man selbst.
Am zweiten Feiertag kehrten sie nach London zurück. Mrs. Shannon nahm den Zug. Sie hatte sich mit einem Paket Sandwiches ausgerüstet, denn anhaltende Verluste beim
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