Mariana
Galopp ganz gemächlich hinterhergezuckelt kam.
«Na, ihr beiden Ausreißer», sagte Tom. Die Sonne schien, die Lerchen sangen in den Lüften, und sie und Denys sangen auch, als sie heimwärts trabten, strahlend in der Vertrautheit gemeinsam erlebter Freude. Sie war schrecklich hungrig gewesen, und zum Mittagessen hatte es gebratene Hammelkeule und Sirup-Torte gegeben.
Das Leben war schön. Sie war mehr als nur zufrieden hier oben in dem schwankenden Grün des Schaukelbaums, bei dem trägen Geplapper und den albernen Witzen, die von Zweig zu Zweig flogen — sie war restlos glücklich.
Morgen war Sonntag, und es war Brauch in Charbury, daß an diesem Tag eines der Kinder mit im Speisezimmer essen durfte; eine Vergünstigung, auf die man mehr wegen des guten Essens als wegen der Gesellschaft erpicht war.
«Morgen bin ich dran, mit im Speisesaal zu essen», verkündete Mary.
«Nein», tönte Margarets Stimme von irgendeinem sicheren, aber unbequemen Sitz ganz weit unten herauf, «ich bin dran.»
«Verflixt noch mal», sagte Mary, «ist sie wirklich an der Reihe, Denys?»
Das Orakel dachte nach. «Müßte stimmen», entschied er. «Sie ist immer nach Michael an der Reihe, und der war am letzten Sonntag dran, nicht wahr, Mike?»
«]a, stimmt. Es gab Schokoladen-Soufflé, und ich hab mir zwei Riesenportionen genommen und dann noch mal extra Sahne, als niemand geguckt hat.»
«Mrs. Linney hat mir gesagt, daß es morgen gerade Cremespinat gibt», jammerte Mary. «Du hast wirklich Schwein, Maggie.»
Margaret hörte, wie die Jungfrau von Orleans, plötzlich himmlische Stimmen. Sie sah nach oben, ihre Brille glitzerte durch die Blätter. «Du kannst für mich gehen, wenn du gern willst, Mary», sagte sie voller Edelmut.
«Ausgeschlossen, kommt nicht in Frage», lehnte Mary ab, «du bist ja schließlich dran.»
«Ich mach mir nichts draus», behauptete Margaret und klammerte sich an einen Ast, aus Angst, sie könnte womöglich geradenwegs in den Himmel entschweben. «Ich will, daß du für mich gehst. Wenn du nicht gehst, gehe ich auch nicht — jetzt weißt du’s.»
«Na schön», sagte Mary ungnädig, «meinetwegen.» Sie wußte, daß Margaret genauso versessen darauf war, mit im Speisesaal zu essen, wie alle anderen. Es wurde einem immer ein bißchen übel davon, wie sie ihre unerwünschten Opfer herausstrich. Das verleidete einem die ganze Vorfreude. Später, als Margaret erwachsen war, stürzte sie sich leidenschaftlich in gute Werke, und ihre Nächstenliebe war so überwältigend, daß alles, was sie tat, den Stempel trug.
Im nächsten Augenblick hatte Mary die Sache schon vergessen, denn sie erspähte unten auf dem Pfad zwei Gestalten mit einem Kinderwagen. «Sieh mal, die Kinderfrauen», sagte sie und zwickte Denys in den Fuß. «Hurra», sagte er, «denen wollen wir’s jetzt mal geben.»
Es , war ein irrsinnig komisches Spiel, das darin bestand, den beiden Kinderfrauen vom sicheren Baum herunter boshafte Bemerkungen an den Kopf zu werfen.
«Margarets Kindermädchen hat einen Schnurrbart», sang Denys, «und wenn sie sich bückt, stöhnen die Stangen in ihrem Korsett», sang Mary in derselben Melodie weiter. «Seid doch nicht so albern, laßt das, sagt Nanny», ließ sich Sarah vernehmen, und Michael schrie aufgeregt, wobei er fast vom Baum fiel: «Im Gesicht hat sie ein Muttermal, ein Muttermal, ein häßliches altes Muttermal.» Der ganze Baum schüttelte sich vor Lachen, aber da die Kinderfrauen nicht auf Bäume klettern konnten, taten sie das einzig Richtige, sie ignorierten die Kinder — einstweilen jedenfalls.
«Es wäre nicht recht», sagte Nanny, als sie außer Sichtweite waren, immer noch verfolgt von nachäffenden Zurufen, «es wäre nicht recht, wenn ich das nicht melden würde — schon im Interesse der Kinder.»
Es war Großmama, die schließlich mit den Kindern darüber sprach. Jeden Abend, bevor sie ins Bett gingen, kamen die Kinder, eins nachdem anderen, zu ihrer Großmutter, um ihr gute Nacht zu sagen, und sie gab jedem ein Stück Schokolade aus der unerschöpflichen Dose neben ihrem Bett. Sarah hatte einmal ihre Schokolade aufgespart, Abend für Abend, und als sie genug gehortet hatte, um eine richtige Schokoladenorgie zu feiern, stellte sie fest, daß ihre Schätze ungenießbar geworden waren.
Wenn sie im Kinderzimmer ihre heiße Milch getrunken und die Biskuits aufgegessen hatte, ging Mary immer, bevor ihre Mutter im Abendkleid heraufkam, um sie ins
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