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Mariana

Mariana

Titel: Mariana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monica Dickens
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kommt zur rechten Zeit...», aber beim Anblick von Mary, der die Tränen mit dem Blut zusammen das Gesicht hinunterliefen, stieß sie einen schwachen Schrei aus, in dem sich Entsetzen, Besorgnis und ganz automatisch auch ein Vorwurf mischten, und stürzte auf sie zu.
    «Mary hat sich die Stirn bis auf den Knochen aufgeschlagen», verkündete Denys. Sarah, Michael und Margaret starrten sie aufgeregt an, und Denys kleine Schwester Julia begann, wütend in ihrem hohen Kinderstuhl loszutoben. Die Kinderfrau von Margaret und Michael trat zu Nanny, die den blutgetränkten Hemdfetzen abnahm, und beide schüttelten entsetzt die Köpfe und stritten miteinander, was zu tun wäre.
    «Ich bringe sie am besten gleich nach oben, es ist wirklich eine scheußliche Wunde», sagte die jüngere von beiden, aber Nanny, obwohl Marys Mutter ihr immer wieder gesagt hatte, sie solle Mary genau wie eine ihrer eigenen Schutzbefohlenen behandeln, war dafür viel zu rechtschaffen.
    «Nein, Schwester», sagte sie und formte ihre Lippen zu einem Knopfloch, «das wäre nicht recht. Es ist unsere Pflicht, sie zu ihrer Mutter zu bringen, und zwar so, wie sie ist. Komm, mein Schäfchen.» Mary ließ ihren Tränen jetzt freien Lauf und schluchzte hemmungslos, teils vor Angst, teils vor Schmerz, während Nanny sie beim Arm nahm und in die Halle führte, mit Denys als Vorhut.
    Er stürzte zwischen die Stühle und Sofas, auf denen die Erwachsenen im Halbkreis vor dem Kamin saßen und Tee tranken, und schrie aufgeregt: «Mary hat sich die Stirn aufgeschlagen bis auf den Knochen, Mary hat sich die Stirn aufgeschlagen bis auf den Knochen.»
    Er erzielte die gewünschte Wirkung. Die Aufregung, die sich der Versammlung bemächtigte, steigerte sich zu einem Tumult, als Mary auftauchte. Verschwommen sah sie einige weibliche Gestalten, die auf sie zustürzten, um sie genauer anzusehen, hörte Schreckenslaute, sah noch das entsetzte Gesicht ihrer Mutter, dann nahm Onkel Guy sie — die jetzt laut brüllte — auf den Arm und trug sie die Treppe hinauf. Dabei hörte sie in all dem Lärm noch, wie Onkel Lionel sagte: «Sie ist tief, aber geht nicht bis auf den Knochen, du kleiner Dummkopf», und Denys bitter enttäuschte Antwort: «Aber ich hab den Knochen gesehen, ich hab ihn gesehen, ganz bestimmt.»
    Doktor Munroe nähte mit ein paar Stichen die Wunde auf Marys Stirn und versprach ihr, daß nur eine winzige Narbe Zurückbleiben würde. «Das ist sehr wichtig für junge Damen, das weiß ich doch, ha, ha.» Was sie betraf, so hatte sie der Unfall bis auf ein gewisses Maß an Schmerzen und ein paar quälende Nächte, in denen ihre Mutter ihr Vorsingen und Aspirin geben mußte, nicht weiter berührt. Sie durfte sehr bald wieder draußen herumtoben, reiten und Kricket spielen, oder was sie sonst tun wollte. Ein großes Heftpflaster saß schief über ihrem linken Auge, was ihr ein leicht beschwipstes Aussehen gab. Denys ritterliches Verhalten machte ihn noch anbetungswürdiger und verlieh ihrer Wunde einen zusätzlichen Reiz. Sie würde ihm bis an ihr Lebensende dankbar sein, daß er bei dem Sprung dabeigewesen war.
    Bei den Erwachsenen war die Sache jedoch nicht ganz so einfach. Obwohl Mary damals nichts davon wußte, hatten ihre Mutter und Tante Mavis — wie sie später erfuhr — einen erbitterten Streit um die Frage, wessen Kind schuld war. Es war eigentlich nur einer der von Zeit zu Zeit wiederkehrenden Ausbrüche, in denen sich die uneingestandene gegenseitige Antipathie Luft machte, die zwischen ihnen schwelte, seit Lily, die Schneidermeisterstochter, sich George, den erst zweiundzwanzigjährigen und noch ganz unerfahrenen Bruder von Mavis, geangelt hatte. Lily war einem herzerfrischenden Krach ab und zu durchaus nicht abgeneigt. Er bildete ein Ventil für ihre angestaute Energie und verhinderte das Einrosten, wie sie sagte. Sie hatte einmal sechs Monate lang mit einem Fleischer aus der Kensington High Street in einer Fehde gelegen, die ausschließlich auf Postkarten ausgefochten wurde, so, wie andere Leute Fernschach spielen, und dann tobte zwischen ihr und dem Generalpostmeister ein ständiger Kampf, weil dieser den ganz ungerechtfertigten Vorteil genoß, seine Briefmarken nicht bezahlen zu müssen.
    Wenn es ihr in Charbury zu langweilig wurde, vergnügte sie sich damit, Mavis oder ihren Schwager Lionel auf die Palme zu bringen. Wie damals zum Beispiel, als sie mit der Bemerkung beiseite getreten war, um Lionels Frau mit ihrer

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