Marianne & David (German Edition)
Mutter ist Wissenschaftlerin?“
„Du scheinst dich darüber zu wundern. Du darfst ihr heutiges Auftreten nicht als Maßstab nehmen. Sie hat sich verändert. Ich hoffe, dass sie sich wieder fängt.“
David hielt es für angeraten, auf dieses Thema nicht einzu-gehen, aber Patrick schien zu wissen, was er empfand.
„Du wirst auf sie so reagiert haben, wie es fast alle tun. Aber meine Mutter ist nicht so, wie es den Anschein hat. Wir müssen wirklich wieder lernen, mit dem Herzen zu sehen. Vielleicht ist es ihre Art, sich die Männer vom Leib zu halten, obwohl sie damit auch der Einsamkeit die Tür öffnet. Ich weiß, sie kleidet sich schrill. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, aber es passt einfach nicht zu ihrem Charakter. Sie trägt manchmal ein Haarteil, dass ihr Gesicht unvorteilhaft erscheinen lässt und ihr Make-up ist zu dick aufgetragen.“
David sagte noch immer nichts.
„Für alles gibt es eine Erklärung. Letzten Sommer stellten die Ärzte einen Knoten in ihrer Brust fest. Nur zwei Wochen später lag sie unter dem Messer. Sie war so panisch vor Angst, dass sie sich ohne weitere Expertisen einzuholen, das Fleisch abschnei-den ließ. Ich war zu der Zeit in Urlaub, und am Telefon hat sie mir nie etwas gesagt. Nachdem sie sich von dem Horror halbwegs erholt hatte und begann, ihr Leben neu einzurichten, machte sich in ihrem Gesicht ein dunkler Fleck breit, der sich als Hautkrebs herausstellte. Obwohl kaum eine Narbe zu sehen ist, kleistert sie sich seitdem mit Puder zu. Ich hoffe wirklich, dass sie sich auf ihre eigentliche Stärke besinnt. Sie war eine schöne Frau, und für mich ist sie es noch immer. Ich bin froh, sie als Mutter an meiner Seite gehabt zu haben, denn trotz aller Widrigkeiten in ihrem Leben und trotz der Probleme mit meinem Vater hat sie mir eines gegeben, was vielen Kindern vorenthalten wird: Liebe.“
„ Was hat deine Mutter beruflich denn gemacht?“
„ Sie war Archäologin. Nach meiner Geburt hat sie ihren Beruf leider aufgegeben.“
„ War das der Wunsch deines Vaters?“
Patrick schüttelte den Kopf. „ Sie kam ihm zuvor, aber bestimmt hätte er sie sonst dazu überredet. Er vertrat die Auffassung, dass eine Frau es sich leisten sollte, zu Hause zu bleiben, wenn der Mann genug verdient. Und das tat mein Vater. Er war Antiquitätenhändler in Damaskus, hat sich nach der Heirat mit meiner Mutter in London ein neues Geschäft auf-gebaut.“
Die Bedienung kam -ein durchtrainierter Zwanzigjähriger mit hautengem, mitternachtsblauem T-Shirt und einer ebenso engen Hose, die sich um sein pralles Gesäß spannte- und fragte, ob sie noch etwas zu trinken haben möchten. David bestellte und sah dem jungen Mann noch eine Weile nach.
„Gefällt er dir?“
„Wer“"
„Na, der Typ hinter der Theke.“
„Wohl kaum.“
„ Warum denn nicht“ bohrte Patrick weiter. „Nicht mal für eine Nacht?“
„ Ich bin bereits mit jemandem verabredet.“ Der Satz war ihm einfach so herausgerutscht, vielleicht, weil er Patricks provo-zierende Fragen leid war. Er war auch gar nicht mehr sicher, ob er froh wäre, wenn George auftauchen würde, da sich seine euphorische Stimmung verflüchtigt hatte.
„ Dann ist es wohl besser, wenn ich dich jetzt alleine lasse.“ Patrick wirkte nicht beleidigt, machte aber trotzdem Anstalten zu gehen.
David hielt ihn am Arm fest. „Ich möchte, dass du bleibst.“
„Und deine Verabredung?“
„Ist nicht so wichtig.“
Patricks Augenbrauen schoben sich nach oben. „Dann wirst du dich aber verstecken müssen.“
„ Oder wir gehen in ein anderes Lokal.“
Patrick überlegte. „ Ich habe eine viel bessere Idee. Wir gehen zu mir.“
„Ins Hotel?“
„Meine Mutter und ich haben jeweils ein kleines Appartement gemietet. Da können wir uns ungestört weiter unterhalten.“
David war überrascht, dass er dem sofort zustimmte, aber Patrick faszinierte ihn: seine Augen, sein Kinn, sein Mund, seine Gestik, seine Art, Geschichten zu erzählen. Statt in Panik zu verfallen, folgte er seiner Bekanntschaft wie ein Hund seinem Herrn in der Hoffnung, dass ihm nur die beste Behandlung zuteil werden würde. Unterwegs fuhr Patrick mit seiner Familien-chronik fort.
„ Schon beim ersten Zusammentreffen war mein Vater von Evelyn fasziniert. Sie war nicht nur schön und besaß einen aufregenden Körper, sie war auch intelligent und geistreich. Sie konnte meinem Vater dreimal das Wasser reichen. Außerdem verband sie ein gemeinsames Interesse: die
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