Mariannes Traenen
und ernst vorgebrachte „Weder, noch! Und jetzt mach gefälligst und richte mir die Sachen!“ ihrer Mutter.
Marianne ging noch rasch in ihre Wohnung und zog sich um. Sie wollte Svenja nicht im Dirndl begegnen, sondern wählte Freizeitbekleidung. Jeans und Bluse. Dann eilte sie nach oben. Im dritten Stock angekommen lugte sie vorsichtig in den Flur. Jetzt einem Gast begegnen wollte sie auf keinen Fall. Zweiter und dritter Stock waren eigentlich nicht mehr belegt – bis auf diesen seltsamen Herrn Stadler, der ausdrücklich darauf bestanden hatte, im obersten Stock zu wohnen. Mit Blick über das Tal, wie er sagte. Mit dem Generalschlüssel verschaffte sie sich Zugang zu ihrem besten Zimmer. Sie betrat den Durchgang mit dem großen Kleiderschrank zur Linken, und rechts, getrennt voneinander, Bad und Toilette. Das überaus geräumige Wohn- und Schlafzimmer war vom Durchgang mit einem Vorhang abgetrennt, den sie beiseite schob und mit einer Schärpe festband. Schnell richtete sie alles her. Sie zog zwei Sessel zusammen, stellte ein rundes Beistelltischchen dazwischen, darauf richtete sie den Champagner, die beiden Gläser und das silberne Tablett mit den Canapés. Sie besah kurz ihr Werk und schaute dann auf die Uhr. Noch zehn Minuten, und ihr war übel. Rasch eilte sie ins Bad und warf sich eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht. „Oh Gott!“, stöhnte sie in ein Handtuch. „Was mache ich hier?“ Ihre Gedanken rasten, doch sie fand keinen Ausweg. Sie mußte das jetzt durchstehen. „Haltung bewahren!“, versuchte sie sich selbst, Mut zu machen. „Haltung bewahren! Das ist das Mindeste!“ Noch ein Blick auf die Uhr. Sie zog die Zellophan-Folie von den Canapés und arrangierte noch einmal mit nervösen Händen die Symbole der erzwungenen Gastlichkeit auf dem kleinen Tischchen.
Punkt neun Uhr klopfte es an der Tür.
KAPITEL 5
„Guten Abend, Svenja! Bitte …“, wollte sie sagen. Doch da war Svenja bereits grußlos an ihr vorbei stolziert. Und sie sah erschütternd aus. Die Mähne schien noch blonder im Kontrast zu dem hautengen, roten Kleid, den roten, hochhackigen Schuhen und der dazu abgestimmten, auffallend großen Handtasche. Selbst ihr Mund war korallenrot geschminkt. Lediglich die Seidenstrümpfe waren schwarz. Leise schloß Marianne die Tür. Als sie selbst ins Zimmer kam, stand Svenja im Raum und betrachtete sich die Vorbereitungen.
„Bitte, nimm Platz “, sagte Marianne. Svenja ließ sich in einem Sessel nieder, nahm ein Champagnerglas und hielt es Marianne auffordernd hin. Diese nahm den Champagner aus dem Kühler und wollte einschenken, doch Svenja zog ihr Glas zurück.
„Zeig!“ Mehr sagte Svenja nicht. Marianne zeigte ihr das Etikett.
„Gut!“ Svenja hielt ihr Glas wieder hin, ließ es sich füllen, nippte kurz daran und stellte es wieder ab. Gerade als Marianne nach dem zweiten Glas greifen wollte, legte Svenja ihren Zeigefinger auf dessen Rand.
„Nein “, sagte sie und schüttelte den Kopf. „Du nicht!“
Marianne stand für einen Moment reglos da und wußte nicht, wie sie auf diese Ungeheuerlichkeit reagieren sollte. Sie atmete tief durch und fühlte, wie sie beim Ausatmen zitterte. Mit einem „Na gut, dann eben nicht!“ stellte sie die Flasche wieder in den Kühler und wollte sich setzen.
„Nein “, hörte sie Svenja sagen. „Du nicht!“
„Was ?“, entfuhr es Marianne.
„Du bleibst stehen!“ Sven ja sah sie aus ihrem Sessel heraus an.
Marianne fühlte eine unbekannte Hitze in ihr Gesicht steigen. War das eine gezielte Demütigung? Oder wollte Svenja sie nur provozieren? Für beinahe eine Minute geschah gar nichts. Die beiden fixierten einander, sagten aber kein Wort.
„Also gut “, sagte Marianne schließlich, ohne Svenja aus den Augen zu lassen. Dabei stellte sie ein Bein vor und verschränkte demonstrativ die Arme vor ihrer Brust.
Svenja griff in aller Seelenruhe nach ihrem Glas, nippte erneut daran und stellte es wieder zurück. „Ich will “, sagte sie leise, „daß du die Hände hinter dem Rücken verschränkst und Haltung annimmst, wenn ich mit dir rede.“
Marianne fühlte es in ihren Schläfen pochen. Wut stieg in ihr auf, ohnmächtige Wut. Ihr Atem ging heftig. Svenja wollte sie also demütigen. Aber was konnte sie tun? Was um alle in der Welt konnte sie tun? Nur mit großer Mühe gelang es ihr, ihre Lähmung zu überwinden, den Zorn herunter zu schlucken und wieder einigermaßen ihre Fassung zu gewinnen.
„Na gut “, sagte sie schließlich,
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