Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
hörst, was er mir und dir vorzuwerfen hat.“
Sapristi! Ich hätte ihn umbringen können, setzte mich jedoch folgsam auf einen Stuhl.
„Nun gut“, brummte Caclar und warf mir einen unwilligen Blick zu. „Soll sie dableiben, die Magd.“
„Also, Monsieur, um was geht es?“
„Jetzt tun Sie doch nicht so scheinheilig, Hochwürden! Geben Sie es zu, Monsieur, dass Sie vorgestern Nacht Gräber aufgebracht und die Toten in ihrer Ruhe gestört haben? Nun? Wir wissen über alles Bescheid. Wie steht geschrieben: Weh dir, du Verwüster, der du selbst nicht verwüstet bist, und du Räuber, der du selbst nicht beraubt bist! Wenn du das Verwüsten vollendet hast, so wirst du auch verwüstet werden; wenn du des Raubens ein Ende gemacht hast, so wird man dich auch berauben. Jesaja 33.“
Caclar hatte jetzt ein feuerrotes Gesicht, von dem sich der schneeweiße, glatte Bart schroff abhob.
Bérenger schwieg. Ich schaute betreten auf meine Hände.
„Seit Ihrem Treiben fehlt auch die Platte auf dem alten Grab der Freifrau. Ich nehme nicht an, dass Sie sie gestohlen haben, Monsieur, um sie als Antiquität zu Geld zu machen. Das haben Sie wohl nicht nötig. Wenn man sich so umschaut bei Ihnen, leben Sie eigentlich wie die Made im Speck. Ja wirklich, wie die Made im Speck.“
„Sie gehen entschieden zu weit, Monsieur!“ Bérenger sprang nun auf. Doch der Alte ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Ich bin noch nicht am Ende, Saunière! Setzen Sie sich wieder! Wir haben Sie wirklich in jeder Angelegenheit gewähren lassen, wir waren äußerst langmütig Ihnen gegenüber, aber nun sind Sie uns schon eine umfassende Erklärung schuldig für ihr blasphemisches Tun auf dem Gottesacker.“
Bérenger hatte sich anscheinend wieder gefasst, denn er nahm mit unbewegter Miene sein Weinglas in die Hand, hob es hoch, roch daran und sagte dann in Richtung des Alten: „Auf Ihr Wohl, Monsieur Caclar. Lassen Sie auch mich aus der Heiligen Schrift zitieren: Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Jesaja 35.“
Genüsslich schlürfte er den Wein. Er hatte wirklich Nerven. Was hatte er nun vor? Bérenger setzte in aller Ruhe das Glas wieder ab und meinte dann: „Was die Vorwürfe betrifft, Monsieur Caclar, die Sie mir im Auftrag des Gemeinderates unterbreitet haben, so kann ich sie in Windeseile auf das trefflichste entkräften.“
„So – da bin ich aber gespannt! Lassen Sie hören!“ erwiderte Caclar und prostete heftig zurück. Ich stand bereits mit der Flasche hinter ihm, um ihm noch einmal nachzuschenken. War er wirklich keinen Alkohol gewöhnt, so würde ein zweites Glas von dem starken Tropfen genügen, um ihn ein wenig betrunken zu machen, was uns nur zum Vorteil gereichen konnte.
Bérenger trank sein Glas leer. Er war mit Sicherheit dem Bordeaux gewachsen. War er aber auch Caclar gewachsen? Noch immer war mir übel, wenngleich ich ein klein wenig erleichtert war, dass die Vorwürfe des Gemeinderats nicht unser Liebesverhältnis betrafen. Sein Treiben auf dem Friedhof hatte Bérenger allein zu verantworten, wenn mich auch ein Teil Schuld traf, weil ich ihn nicht zurückgehalten, sondern ihm geholfen hatte. Wie er die Vorwürfe jedoch „in Windeseile“ entkräften wollte, war mir ein Rätsel.
„Es ist wirklich schnell erklärt, Monsieur le Maire“, wiederholte Bérenger, um Zeit zu gewinnen. „Als ich im Juli für einige Tage in Paris war, habe ich unter anderem auch den Friedhof Père Lachaise besucht. Ich besuche gern Friedhöfe, wissen Sie, man findet Ruhe dort, kann seine Gedanken frei herumspazieren lassen, niemand spricht einen an. Wobei für mich der Herbst die schönste Jahreszeit ist, um einen Gottesacker zu besuchen: All das bunte Laub, das von den Bäumen heruntersegelt, die letzten Strahlen einer bereits kraftlosen Sonne, verblasste Immortellen auf staubigen Marmorplatten, trockene Rosenkränzlein, der Trauerflor längst unlesbar, und als Kontrast jene immergrünen Eiben und Zypressen, die hinter den Einfassungen und neben den Gräbern stehen. Ja“, Bérenger seufzte theatralisch, „der Hauch der Vergänglichkeit auf der einen Seite und auf der anderen immergrüner Lorbeer ... Aber nun zurück zum Père Lachaise und meinem Anliegen. Dort, Monsieur le Maire, gibt es bemerkenswerte Denkmäler und vor allem Grabmäler von unvorstellbarem Luxus. Exzellente Künstler sind tagtäglich ausschließlich damit beschäftigt, für die reichen Leute von Paris
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