Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
neue Marmorabdeckungen, Stelen und Figuren zu schaffen. Es ist wirklich eine Augenweide, Monsieur, was man dort findet. Aber das, was mir besonders aufgefallen, ja geradezu ins Auge gesprungen ist, war die Ordnung, die auf diesem Friedhof herrscht - in Anbetracht dessen, dass Generationen von Parisern dort begraben sind. Sie haben recht gehört, mein lieber Caclar, ich sprach von der Ordnung!“
Caclar riss die Augen auf, sicherlich wusste er gleich mir nicht, worauf Bérenger hinaus wollte.
„Ja, alles ist klar und übersichtlich auf dem Père Lachaise. Gewissenhafte Beschriftung, saubere Reihen, klare Verhältnisse. Nach kurzer Orientierung schon findet man dasjenige Grab, nach dem man Ausschau hält. Ich war beeindruckt, in der Tat. Als ich dann zurückkehrte, kam mir unser kleiner Friedhof vor wie ein undurchsichtiger Dschungel. Ein solches Durcheinander aber auch! Kreuz und quer, wie Kraut und Rüben, sind unsere Gräber angeordnet, unmöglich! Und dazu noch total überbelegt. Es leben nun einmal viele alte Leute in unserem Dorf. Aber wo wollen wir die Alten noch würdig beisetzen, wenn sie sterben, frage ich Sie, Monsieur le Maire? Haben Sie darüber schon einmal nachgedacht? Hat der Gemeinderat sich das schon einmal gefragt? Gedenken wir etwa die Särge zukünftig übereinanderzustapeln?“
Caclar war sichtlich verblüfft. Er griff wortlos zum Glas, trank.
Ich schenkte großzügig nach.
„Noch in Paris“, fuhr Bérenger fort, „habe ich mir vorgenommen, bei der ersten besten Gelegenheit neuen Platz zu schaffen auf unserem Gottesacker. Es musste sein. Die Wüste sollte wieder blühen. Einige alte Gräber, um die sich längst niemand mehr kümmert, habe ich aufgelassen, die Gebeine ins Beinhaus geschafft und halb zerfallene oder gänzlich verwitterte Grabplatten und Stelen auf einen sauberen Haufen gelegt. Antoine wird später den Rest besorgen. Auch wird er im Herbst auf meine Anweisung neue, ordentliche Reihen anlegen und etliche schöne Koniferen pflanzen. Dann wird es keine Belegungsprobleme mehr geben.“
Caclar hüstelte. „Ich wusste gar nicht, dass wir ein ... ein ´Belegungsproblem`, wie Sie es nennen, in Rennes haben, Saunière“, meinte er, noch immer misstrauisch.
„Aber ja, Monsieur. Aber ja. Ein sehr großes sogar. Mit Madame Ruillac, die vor fünf Wochen beerdigt wurde, ist der letzte freie Platz belegt worden. Es war höchste Zeit zu handeln!“
Und wieder hob Bérenger sein Glas und prostete dem Alten zu.
Der war mehr als irritiert. Er trank sein zweites Glas aus, und ich schenkte ihm und Bérenger das dritte ein.
„Ja, wenn das so war ... Nur ist mir nicht klar, warum Sie diese Arbeit mitten in der Nacht gemacht haben? Außerdem brauchen Sie als Priester doch nicht eine derartige Drecksarbeit zu leisten, dafür bezahlen wir doch den Kirchendiener! Und was ist mit Félix Nodier, Ihrem Tierpfleger?“
„Sie haben in allen Punkten recht, Monsieur Caclar“, räumte Bérenger bescheiden ein. „Ich muss Ihnen an dieser Stelle etwas anvertrauen, mein Freund!“
Neugierig rückte der Alte näher. Er hielt seine Hand hinters Ohr, um besser hören zu können. Das dritte Glas war bereits zur Hälfte geleert, und seine Nase fing ein wenig zu glänzen an. Bérenger trank erneut auf sein Wohl und Caclar auf das der Gemeinde.
„Sie sind doch ein aufgeklärter Mensch, Monsieur Caclar, nicht wahr! Sie stehen doch mit beiden Beinen auf dem Erdboden.“
Caclar nickte. „Wohl, wohl!“
„Ihnen brauche ich also nichts vorzumachen. Sie wissen Bescheid über die zahlreichen Schwächen unserer Mitchristen.“
„Worauf wollen Sie hinaus, Monsieur le Curè?“
„Nun, eine dieser Schwächen ist, dass viele fromme Leute furchtbar abergläubisch sind, was eigentlich ein Widerspruch in sich ist. Seit meinem Amtsantritt hier heroben habe ich beispielsweise gegen die Unsitte mit den Ginsterbüscheln gewettert. Ich habe immer wieder betont, dass es zu einem gottgefälligen Leben keinerlei Amulette und Kräuter bedarf.“
„Da haben Sie völlig recht, auch Ihr Vorgänger hat so gedacht, wenn er auch ein wenig sonderbar war – ja eigentlich schimpfen alle Männer über dieses elende Laster der Weiber in unserem Land. Ginster! Ha!“ Caclar geriet erneut in Erregung. Seine Äuglein blitzten zornig.
„Ja – und sehen Sie, hier liegt der Grund, warum ich die Aufräumaktion mitten in der Nacht vorgenommen habe. Einzig und allein deshalb, um den Frauen keine Angst einzujagen, um die
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