Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
Vom Netzwerk:
dich gebaut?“ fragte sie, ihr Misstrauen kaum noch unterdrückend. „Mir kannst du die Wahrheit schon sagen. Ich bin nicht prüde.“
    „Wo denkst du nur hin, Juliette! Monsieur Saunière ist über allen Zweifel erhaben. Er plant, in der Villa später einen Altersruhesitz für pensionierte Geistliche einzurichten.“
    Sie nickte nur – noch immer ungläubig und noch immer ziemlich rot im Gesicht.

    Kurz darauf, als ich an der Tür des Gästezimmers lauschte, konnte ich hören, wie sie Barthélémy von dem Gold erzählte, das überaus raffiniert im Keller versteckt und auf den ersten Blick wirklich nicht zu sehen gewesen wäre. Sie hatte sich also gründlich umgeschaut dort unten, das neugierige Frauenzimmer.
    „Sie haben tatsächlich einen Schatz gefunden!“ hörte ich sie erregt sagen. Barthélémy, mein braver, vernünftiger Bruder, brummte nur: „Ach woher! Mit dir ist wieder einmal die Phantasie durchgegangen. Sicher hat es sich um etwas anderes gehandelt als um Goldbarren. Du hast doch noch nie einen zu Gesicht bekommen. Niemand deponiert Gold in einem Kellerregal neben dem Eingemachten, dass es jeder Dummkopf finden kann. Da müsste man ja verrückt sein!“
    Wie recht er doch hatte.

    Olive wäre allzu gerne noch ein paar Wochen bei uns geblieben. Bérenger hätte nichts dagegen gehabt, aber mein Bruder hatte sein Veto eingelegt: „Sie muss in der kommenden Woche ins Internat zurück. Ich zahle das viele Geld doch nicht, damit sie sich hier in der Sommerfrische bei dir vergnügt, Marie.“ Und so lief die Kleine die restlichen vier Tage bis zur Abreise mit beleidigter Miene herum. Bérenger zog sie ein wenig auf, um sie wieder aus ihrem Schmollwinkel hervorzulocken, neckte sie, nannte sie „Mademoiselle Olivenbaum“, und als sie sich so gar nicht in ihr Schicksal fügen wollte und immer schweigsamer wurde, meinte er ganz beiläufig, dass Olive eigentlich die beste Kandidatin wäre, die er sich vorstellen könne, für die Rolle der Jungfrau von Tarascon.
    „Wer ist die Jungfrau von Tarascon, Hochwürden?“ hatte sie neugierig gefragt und für einen Augenblick ihr Unglück vergessen, nicht länger bei uns bleiben zu dürfen.
    „Nun“, erzählte Bérenger, „es gibt da eine schöne Legende. Als die Römer – von den Römern hast du doch schon gelesen, nicht wahr?“ Olive nickte, und ihre Augen glänzten bereits ein wenig.
    „Also, als die Römer ihr Lager bei Tarascon aufgeschlagen hatten, wurden sie von einem Ungeheuer bedroht. Es war aus dem Meer gekommen und hatte gewaltige Ausmaße. Mindestens dreiundzwanzig Fuß Länge und fünf Fuß Breite, schätzten die Leute. Dieses Ungeheuer nannte man Tarasque. Es hielt sich für gewöhnlich in den Gewässern der Rhône versteckt und tauchte nur dann auf, wenn es jemand aus Tarascon wagte, das Flussufer zu betreten. Niemand kehrte je zurück, wenn die Tarasque ihn erblickt hatte. Die Bestie verschlang jedes Lebewesen. Ja, so war es.“
    Ich lächelte darüber wie gespannt Olive an Bérengers Lippen hing. Es hatte ganz den Anschein, dass auch sie einen Menschen brauchte, der ihr ab und an von wundersamen Dingen und längst vergangenen Zeiten erzählte.
    „Wie ist die Geschichte weitergegangen, Hochwürden?“ fragte sie neugierig.
    „Nun, eines Tages fassten sich sechs tollkühne Männer ein Herz. Sie beschlossen, die Stadt von der Tarasque zu befreien. Doch ihr Plan misslang. Drei von ihnen wurden auf der Stelle verschlungen, die anderen flüchteten.“
    Olive seufzte tief.
    „Da gab es jedoch ein tapferes junges Mädchen – man nennt sie heute die heilige Marthe aus Saintes-Maries-de-la-Mer von der Küste. Diese Heilige ging mit hocherhobenem Kruzifix auf die Tarasque zu und bespritzte sie mit Weihwasser. Die Leute trauten ihren Augen kaum, als sie sahen, dass sich die Bestie von dem Mädchen zähmen ließ. Das Ungeheuer fauchte noch ein wenig, lag aber bald vollkommen brav der Kleinen zu Füßen und rührte sich nicht mehr von der Stelle. Das Mädchen nahm nun einen Strick, band ihn der Tarasque um den Hals und führte das gefügig gewordene Untier durch die Stadt. Ein Wunder war geschehen! Die Kirchenglocken läuteten, die Menschen weinten vor Freude, fielen sich um den Hals und feierten ein großes Fest. Marthe jedoch blieb, was sie war, ein schüchternes, bescheidenes Wesen. Noch immer feiern die Tarasconer dieses Ereignis. Sie nennen es, die Tarasque herauslassen, und sie brauchen Jahr für Jahr eine neue Darstellerin für ihr Schauspiel.

Weitere Kostenlose Bücher