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Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Marie ... : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Marie ... : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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Leichtgläubigen nicht zu erschrecken. Hätten wir am Tag die alten Knochen ausgegraben, wären sie angelaufen gekommen, den Rosenkranz in der Hand, und am Ende wäre von Flüchen, Geistern und anderem Unsinn die Rede gewesen. Denken Sie nur an das nicht auszurottende Ammenmärchen von den Troglodyten oder an das der Weißen Frau. Die alten Sagen halten sich nun seit fast tausend Jahren in unserer Gegend, und wir Priester stehen dem nahezu machtlos gegenüber. Übrigens ist auch Antoine ziemlich abergläubisch, und das war der Grund, warum ich nicht ihn damit beauftragt, sondern die unangenehme Drecksarbeit, wie Sie sagen, lieber alleine gemacht habe. Die Wege neu anzulegen und neue Gräber herzurichten im Herbst, das ist etwas anderes. Das muss er schon machen, der Alte. Dass Félix mir nicht geholfen hat, liegt einzig daran, dass er seit einiger Zeit seinem Onkel in Montazel beim Bau einer neuen Scheune zur Hand geht. Ich habe ihm freigegeben.
    Caclar sah enttäuscht in sein leeres Glas. Ich schenkte den Männern ein weiteres Mal ein.
    „Das mit Antoine habe ich nicht gewusst! So ein altes Waschweib!“ wetterte er.
    „Glauben Sie mir“, fuhr Bérenger mit Nachdruck fort, „es war ein hartes Stück Arbeit, das meine Haushälterin und ich bewältigt haben. Alle Knochen taten uns weh. Das einzige Versäumnis, das der Gemeinderat - das Sie, Monsieur le Maire, uns vorwerfen könnten, wäre, Sie nicht vorher verständigt zu haben. Wenn das so ist, so entschuldige ich mich hiermit in aller Form, und ich bitte Sie, die Herren Räte im Nachhinein davon zu unterrichten.“
    Caclar nickte mit leicht glasigen Augen.
    „Ja, gut“, meinte er, den Zylinder bereits in der Hand. Da fiel ein kurzer, aber äußerst misstrauischer Seitenblick auf mich. „Die Marie, die ist wohl nicht abergläubisch, oder?“
    Ich schüttelte den Kopf und sah ihm entschlossen in die Augen. „Nein, Monsieur, ich glaube an meinen Herrn und Heiland. Aus diesem Grunde fürchte ich mich auch nicht vor den alten Knochen auf dem Friedhof.“
    Bérenger warf mir einen kurzen Blick zu. Seine Mundwinkel zuckten verräterisch.
    „Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen, Monsieur Caclar“, fragte er freundlich.
    „Nein – hm, eigentlich nichts. Ich danke für die Einladung. Selbstredend werde ich Ihre Entschuldigung dem Gemeinderat unterbreiten. Ich glaube nicht“, er hüstelte ein wenig verlegen, „dass Ihr Verhalten Konsequenzen nach sich ziehen wird. Sie haben ja im guten Glauben gehandelt, und wenn es wirklich so war, dass der Platz rar wurde auf dem Gottesacker, dann musste die Arbeit getan werden. Wohl, wohl. Gelobt sei Jesus Christus.“

32
    „Wachsame Seele, bekenne dich leise zum nichtigen Tag ...“
    Arthur Rimbaud , L`Eternité

    Die Erklärung und der Bordeaux hatten genügt. Es gab keine weiteren Vorwürfe vom Gemeinderat, außer dass man Bérenger schriftlich anwies, die Grabplatte der Freifrau umgehend wieder an ihren Platz zu legen. Das tat er auf der Stelle, dieses Mal jedoch am Tage und mit Hilfe von Antoine.
    Die Nachfahren der Gräfin waren nicht so leicht zu besänftigen. Bei einem mehr oder weniger zufälligen Besuch des Friedhofs, ungefähr ein halbes Jahr später, bemerkten sie sofort, dass die Inschrift fast völlig zerstört und somit kaum mehr lesbar war. Die Abkömmlinge der Marie d`Hautpoul de Blanchefort, die längst nicht mehr im alten Schloss wohnten, waren aufs äußerste empört, und sie konnten nicht mit Bordeaux und unverschämten Lügen besänftigt werden. Dennoch verstand es Bérenger geschickt, sie zu beruhigen. Er ging in die Defensive, sprach von einem wahrhaft unglücklichen Versehen und versprach, auf eigene Kosten eine Kopie anfertigen zu lassen und die Platte auszutauschen. Allerdings gab es später noch einmal Ärger, als die Verwandten feststellten, dass die neue Inschrift offensichtlich von der ursprünglichen abwich. Da jedoch keiner eine Urschrift oder etwas ähnliches hatte, konnten sie Bérenger nichts beweisen.
    Friedhofsschändung. So weit waren wir also gekommen: Bérengers Wahn auf der einen Seite – und meine Liebe zu ihm, die diesem Wahn wohl gleichzusetzen ist, auf der anderen. Was hätte ich tun können, um ihn zurückzuhalten? Wo war der Halm, den es zu ergreifen galt?

    Und nun muss ich wohl doch die gesamte Szenerie jener Nacht schildern, wie sehr ich mich auch dafür schäme.
    Bérenger war ein überzeugender Märchenerzähler. Caclar hatte er eine Version seiner Geschichte

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