Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
Buchstaben hat Bigou auch noch das abschließende ´Requiescat in Pacem` verstümmelt: ´Requies catin pace` steht auf dem Stein. Inzwischen haben wir herausgefunden, dass es sich um genau denselben Spruch von Dagobert und Zion handelt, mit dem ich dir in der Grotte Angst eingejagt habe. Du siehst, Marie, wir werden immer besser! Übung macht den Meister.“
Noch bevor ich eine Frage stellen konnte, sprang er auf.
„Und nun bürste mir bitte rasch die Soutane aus, Marie! Ich muss in die Kirche.“
Als ich jedoch nach seiner Rückkehr Näheres wissen wollte, wurde er sehr böse.
„Marie, alles ist erlaubt, aber es frommt nicht alles. Ich bitte dich daher, mich nicht weiter zu bedrängen. vielleicht sind wir am Ende unserer Suche angelangt, vielleicht auch nicht. Wir werden sehen ...“
Als Kind kann man es kaum erwarten, hineinzuwachsen ins Leben, endlich die Tür aufzustoßen, hinter der sich die Geheimnisse der Welt verbergen. Glücklicherweise ahnen Kinder nichts von den tiefen Schatten, die das Licht mit sich bringt. Wüssten sie davon, würden sie sich wohl weigern, erwachsen zu werden.
Auf unserer Beziehung lag inzwischen solch ein Schatten. Der Todesfall in der Garrigue und die Geschichte auf dem Friedhof waren eben nicht spurlos an uns vorübergegangen.
Bérenger hatte sich mir gegenüber verändert, was mich unendlich schmerzte.
Ihn schmerzte wohl gleichermaßen, dass ich ihn hintergangen hatte.
Eines Morgens war er nach Montazel hinuntergefahren. Eine gute Gelegenheit, dachte ich, um wieder einmal in aller Ruhe die Sakristei aufzusuchen, zumal Antoine das Zipperlein plagte.
Ich blätterte eine Weile in seinem Tagebuch herum, bis ich den passenden Anschluss gefunden hatte.
„Denkmal Shugborough-Hall, Staffordshire. Poussins Hirten spiegelverkehrt!“
lautete Bérengers neuester Eintrag, gefolgt von einigen rätselhaften Buchstaben:
„O.U.O.S.V.A.V.V. D M.
Nichts als mystischer Nebel!“
Bedeutete der letzte Satz, den er offenbar hastig hinzugefügt hatte, dass er inzwischen klüger geworden war?
Ich blätterte weiter.
Noch immer keine Zeile von seiner Entdeckung im Grab der Freifrau, dafür eine halbe Seite in griechischer Schrift. Das enttäuschte mich sehr. Als ich das Buch schon wieder zuklappen wollte, fiel mein Blick auf einen Nachtrag. Und plötzlich wurde mir die Kehle eng, meine Knie begannen zu zittern, und meine Ohren fingen an zu glühen.
„Marie, stell sofort das Buch an seinen Platz, verschließ den Schrank, häng den Schlüssel wieder über mein Bett – der Bart muss nach rechts zeigen! - und schäm dich in Grund und Boden! Einer guten Detektivin wäre das nicht passiert!“
Als er am Abend von Montazel zurückkam, schämte ich mich noch immer, so dass ich mich mit einer Migräne in mein Bett verzog und stundenlang grübelte, ob einige Dinge, die ich in der Vergangenheit seinen Aufzeichnungen entnommen hatte, nicht zu Bérengers Verwirrspiel gehörten, das er für mich inszenierte.
Das Auffinden der Arcadia-Platte hatte Bérenger nicht zufriedener werden lassen, im Gegenteil. Obwohl ich es nun nicht mehr wagte, ihn auszufragen oder ihm hinterher zu spionieren, fuhr er mir oft gereizt und ungeduldig ins Wort. Es konnte nicht ausbleiben, dass wir uns häufig stritten. Mich störte besonders, dass Bérenger sich noch häufiger als sonst vertreten ließ, öfter auf Reisen ging und mir seltener das Ziel verriet. In meiner Phantasie sah ich ihn dabei ständig irgendwo in Emma Calvés Armen liegen, obwohl oder gerade weil er sie nie erwähnte. Kam er nach Hause, so vermisste ich seine Herzlichkeit, sein fröhliches Lachen, die Leichtigkeit, mit der er früher das Leben angegangen war.
Leider bildete ich mir ein, dass ich ihn durch Vorwürfe ändern könnte.
Einem dieser unergiebigen Streitgespräche war eine unverschämte Bemerkung Boudets vorausgegangen, der Bérenger in der Woche nach dem ersten Advent – ich bin mir nicht ganz sicher, ob es 1902 oder 1903 war - vertreten hatte. Ausgerechnet nach einem opulenten Mittagessen, das ich extra für ihn gekocht hatte, fragte er mich scheinheilig, wann Bérenger zurückkehren würde.
„Ich weiß es nicht genau, Hochwürden“, hatte ich ihm ohne Arg geantwortet. „Er hat nur gesagt, dass er in gut zwei Wochen wieder hier wäre.“
„Ach ja? Hat er das? Nun, wer weiß, wann es ihm einfällt, heimzufahren. Vielleicht bleibt er ja für immer dort. Paris ist schließlich voll der schönen Gefahren. Zudem hat er es ja
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