Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
gar nicht mehr nötig, sein Leben auf einer Landpfarre zu vergeuden“, sagte er in anzüglichem Tonfall und mich mit halbgeschlossenen Augen beobachtend.
Nun war mein Selbstbewusstsein schon seit langem erschüttert. Dennoch regte sich in mir Protest. Gerade wollte ich Bérenger in Schutz nehmen, als ich einen lauernden Blick und ein kleines, boshaftes Lächeln bemerkte, das Boudets Mund umspielte. Da entschloss ich mich zu schweigen. Ich vermutete zwar, dass die beiden Priester längst schmerzlich hatten feststellen müssen, dass sie ihren eigenen, kläglichen Legenden auf den Leim gegangen waren. Ihre Enttäuschung, bei der Suche nach dem Inhalt des geheimnisvollen Grabmals nicht recht weitergekommen zu sein, war wohl ziemlich groß. Aber das alles rechtfertigte keinesfalls Boudets Bosheit.
Nach Bérengers Rückkehr jedoch war Boudets Drachensaat bereits aufgegangen. Ich fuhr fort, ihn noch genauer zu beobachten, zu kritisieren, erneut auszufragen, ja ihm wieder frech hinterher zu spionieren. Ein solches Verhalten, das wusste ich, verabscheute er zutiefst. Ich konnte mich jedoch nicht zurückhalten - und verabscheute mich am Ende selbst.
Bérenger wurde dabei immer aufgebrachter, und seine Vorhaltungen häuften sich.
„Marie, warum machst du uns das Leben so schwer? Genieße die schönen Stunden. Dir geht es gut, du bist reich - mir geht es gut, ich bin reich. Wir können beide tun und lassen, was wir wollen. Wenn es dir allerdings bei mir nicht mehr gefällt, bitte sehr. Die Welt ist auch ohne dich voll der bissigen Tadelmäuler. Schon Cicero hat gesagt: Es ist die Eigenheit der Toren, dass sie die Fehler anderer bekritteln und ihre eigenen vergesse n. Weshalb also beginnst du nach all den Jahren, auf den kleinsten Splitter in meinem Auge zu achten? Ich kann dir doch heute nicht sagen, wie ich in einem halben Jahr denken werde, ob ich dich dann noch liebe oder wo ich mich in fünf Jahren befinde. Vielleicht bin ich tot wie Giselles Mann! Schluss, aus, fini.“
„Bérenger, versündige dich nicht!“ hatte ich ausgerufen und war in Tränen ausgebrochen. All das, was sich in den letzten Jahren in mir angestaut hatte, suchte sich nun seinen Weg. Bérenger erschrak. Er nahm mich wortlos in seine Arme. Ich schluchzte. „Ich fühle mich schrecklich unglücklich, wenn ich nicht weiß, wie mein Leben weitergehen wird. Das war schon früher so. Nacht für Nacht liege ich wach und grüble – und ... und – ach, ich habe solche Sehnsucht nach dir!“
„Ja, ja, ich weiß, Marie!“ hatte Bérenger mit rauer Stimme gesagt. „Ich weiß ...“
Niemand in Couiza oder in Rennes hatte damit gerechnet, dass Giselles Mann Alain sterben würde, fünf Jahre nach der Hochzeit! Zu Beginn hatte er nur eine leichte Erkältung gehabt. Dann hatte er angefangen zu husten, wochenlang - aber wem ist es nicht auch schon einmal so ergangen. Voller Zuversicht war er noch zwei Wochen vor seinem Tod in einen Kurort gefahren. Ich hatte Giselle das Geld dafür gegeben, denn sie war die einzige, die sich wirklich ernste Sorgen um ihn gemacht hatte. Hoch oben in den Pyrenäen, in Les Eaux-Bonnes, so versicherten ihr die konsultierten Ärzte in Limoux, würde er schnell Heilung finden. Sein Zustand hatte sich dort oben jedoch rapide verschlechtert. Die Bakterien hatten unbemerkt die Lungenspitzen und das Herz befallen. Ohne großes Aufsehen war er dahingeschieden, ohne Abschied, mitten in der Nacht - so als hätte er sich klammheimlich davonstehlen wollen.
Als ich die Nachricht erhielt, packte ich sofort meine Tasche, schrieb Bérenger, der gerade Krankenbesuche machte, einige Zeilen und eilte im Laufschritt hinunter zu Giselle.
Alle Spiegel waren bereits zugehängt, als ich die kleine Wohnung der jungen Familie betrat. Giselle saß in der abgedunkelten Stube – blass, die Augen riesengroß, der Mund bitter zusammengezogen. Tränen sah ich nicht.
Ich ließ meine Tasche und meinen Umhang zu Boden sinken und nahm sie in die Arme. Wortlos hielt ich sie fest, strich über ihr völlig aufgelöstes, wirres Haar, bis sie endlich anfing zu weinen.
„Alain hat mich verlassen“, schluchzte sie. „So ein Unglück! Was soll ich nur tun? Die Kinder sind noch so klein, und seine lange Krankheit hat all unsere Ersparnisse aufgebraucht.“
„Ich werde dich nicht im Stich lassen, Giselle“, versuchte ich sie zu trösten. „Wenn dein Mann begraben ist, setzen wir uns in aller Ruhe zusammen. Ich verspreche dir, dass du und die Kinder keine Not
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