Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
ausgestreckt, und die linke Hand trommelte nervös auf seiner Weste herum.
Irgend etwas war geschehen!
Ich räumte ab, spülte das Geschirr, und als ich kurz darauf den Apfelreis servieren wollte, fuhr Bérenger hoch, als ob er aus einem unschönen Traum erwacht wäre.
„Hör zu, Marie“, sagt er unvermittelt und schüttelte gewissermaßen von sich, was ihn gerade umgetrieben hatte, „Abbé Boudet wird heute bei uns übernachten. Morgen in aller Früh trifft außerdem Gélis ein. Bitte sorge dafür, dass wir absolut ungestört bleiben. Besonders Antoine hat den Hang, heimlich zu lauschen, ich habe ihn mehr als einmal dabei ertappt. Schick ihn mit Besorgungen ins Tal. Weder heute noch morgen bin ich für irgendeine Person zu sprechen, selbst nicht für jemanden aus dem Gemeinderat. Es sei denn, es liegt einer im Sterben.“
Ja, es war offensichtlich, dass irgend etwas im Gange war. Gélis kam sonst nur zu Festlichkeiten herauf. Hatten die Priester eine neue Entdeckung gemacht, oder gedachte Gélis, Bérenger zu warnen? Die Modernisten ... Seine Drohung mit der Exkommunikation? Ich machte mir wirklich Sorgen.
Boudet war inzwischen aufgewacht. Er dehnte und streckte sich, wobei ein kleiner Rülpser seiner Kehle entwich. „Entschuldigung“ stieß er erschrocken hervor, klopfte sich mit der Hand auf den Mund und strich sich dann die spärlichen weißen Haare aus der Stirn. Der kurze Schlaf hatte ihn anscheinend völlig erfrischt, denn seine Augen leuchteten aufgeregt.
Mir gegenüber war er wie ausgewechselt. Statt bösartiger oder anzüglicher Bemerkungen gab es nur Lob für meinen Apfelreis.
Als ich aber nachfragte, ob es den Herren recht sei, wenn ich am nächsten Tag Lammkoteletts braten würde und dazu grüne Bohnen reichen, so runzelte Bérenger zu Boudets Enttäuschung nur irritiert die Stirn.
„Richte uns morgen früh einige Sandwiches, Marie“ - diese neue Mode aus London hatte ihm Emma beigebracht –, „und stell Gläser und ein paar Flaschen Bordeaux in die Kammer. Das reicht uns.“
Am frühen Abend zog ich mich zurück, um Wäsche auszubessern, denn dabei konnte ich am besten nachdenken. In meinem Kopf spukte nämlich eine Idee herum, die sich nicht beiseiteschieben ließ. Hundertmal und mehr fragte ich mich, ob ich das Wagnis eingehen sollte. Würde Bérenger mir einen erneuten Vertrauensbruch jemals verzeihen?
Egal, dachte ich, ich werde es trotzdem tun. Diese Geheimniskrämer haben es nicht anders verdient!
Kurz vor Mitternacht suchte Boudet mit ernster, gewichtiger Miene sein Zimmer auf, und ich hörte, wie er es hinter sich zweimal abschloss. Bérenger war bereits kurz vor ihm - ohne einen Gute-Nacht-Gruß für mich - hinausgewankt, um im Turm zu übernachten. Beide hatten seit dem Mittagessen kräftig dem Bordeaux zugesprochen, so dass sie sicherlich auf der Stelle einschlafen würden. Nun hielt es mich nicht mehr im Haus. Ich räumte rasch die Gläser der beiden in die Küche, suchte dann in Émilies Nachlasstruhe, die im Keller stand, was ich zu meinem Plan benötigte. Schließlich drehte ich alle Lampen herunter und schlich mich mit dem großen Kirchenschlüssel und einer Schachtel Zündhölzer hinüber in die Kirche.
Aber ach, Asmodi erwartete mich bereits. Beim Öffnen der Kirchentür fiel ein schwacher Schimmer Mondlicht auf ihn, so dass seine Augen für einen Moment gefährlich aufblitzten. Schande und Schmach! Schnell schickte ich ein Stoßgebet zum Heiligen Michael, dem Sieger über Luzifer, und sperrte die Tür hinter mir zu. Nun war es stockfinster in der Kirche. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Vorsichtig tastete ich mich zur Sakristei durch. Erst dort wagte ich es, eine der dicken, halb heruntergebrannten Altarkerzen anzuzünden, die auf dem Fensterbrett lagen. Dann überlegte ich. Wo stand Antoines Werkzeugkiste? Noch während ich umherblickte, fiel ich fast darüber. Sapristi! Dort gehörte sie nun nicht gerade hin, mitten auf den Weg zum Altar! Der Alte war in letzter Zeit ziemlich trottelig geworden. Ich zerrte das Stemmeisen hervor und betrachtete es ernsthaft. Nun, es kam auf einen Versuch an. Nachdem ich die Kerze in sicherer Entfernung auf den Boden gestellt hatte, öffnete ich unverzüglich den Schrank, der direkt an die Wand zur geheimen Kammer grenzte. Es handelte sich nicht um den Butzenschrank mit den Kasualbüchern, sondern um einen schweren Eichenschrank, vollgestopft mit alten Liederbüchern und Orgelnoten, verrosteten Mausefallen, ausgemusterten
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