Marie ... : Historischer Roman (German Edition)
überein!“
„Es geht mir um die Spinne. Ist deren Deutung wirklich hieb- und stichfest, Bruder?“
In Boudets Worten hatte nicht nur Verzweiflung gelegen, auch ein klein wenig Hoffnung, dass Gélis selbst zweifeln könnte.
Doch dieser sagte mit fester Stimme: „Ja, daran ist nicht zu rütteln. Lasst es mich euch noch einmal erklären: Die Spinne – Aranea - ist der Schlüssel zum ganzen Geheimnis.“
„Und sie stellt in der Tat die Emanation, also die Verkörperung des Heiligen Geistes dar. Ich habe es in der Nacht noch einmal nachgelesen“, hatte Bérenger hervorgestoßen, der zuvor kein einziges Wort gesagt hatte.
„Ja, Bruder. Wir hatten einfach nicht daran gedacht. Keiner von uns hat das seltsame Tier für wichtig gehalten und in das Rätsel einbezogen. Auch Hoffet nicht. Der Heilige Geist also, die Spinne. Aranea. Dieses Wort ist verborgen in dem Spruch Et in Arcadia ego. Streicht man die sechs Buchstaben heraus, so bleiben acht übrig. Und jetzt zeige ich euch, wie diese aneinandergereiht werden müssen.“
Eine Zeitlang hörte ich nichts. Dann sagte Boudet:
„Oh, mein Gott ... Es ist wahr!“
Die Spinne war also die Wächterin des Grabes von Les Pontils gewesen, lange bevor die Platte und der Inhalt des steinernen Sarkophages durch Bigou nach Rennes-le-Château gebracht wurden.
Und ich selbst hatte Bérenger auf dieses Tier mit den acht Beinen aufmerksam gemacht!
Jeder der drei Priester hatte Angst. Kurz bevor ich mich davonschlich, hatte ich gehört wie einer sagte, dass dieses Wissen gefährlich sei wie kein anderes auf der Welt. Sogar in dem Spruch Et in Arcadia ego sei eine Warnung enthalten, so Gélis ernst, vielleicht eine letzte. „Ich habe mit den Buchstaben gespielt, habe sie ausgeschnitten und lange hin- und hergeschoben. Und bin dann auf den Tod erschrocken, als plötzlich I Tego Arcana Die zum Vorschein kam, was bedeutet: Verschwinde von hier! Ich halte die Geheimnisse Gottes verborgen!“
Die Geheimnisse Gottes.
Ich selbst werde zu keinem Außenstehenden darüber reden. Das habe ich mir noch am gleichen Tag geschworen. Aber ich habe wenige Tag nach diesem Ereignis begonnen, alles aufzuschreiben. Ich hoffe, es ist eine Möglichkeit, mit dem Entsetzen und der Angst fertig zu werden. Die größte Angst, die ich habe, ist jedoch, mich Bérenger gegenüber zu verraten – und ich sorge mich vor allem um ihn selbst. Meine Blässe führte er auf ein Unwohlsein, eine Frauengeschichte zurück, ganz so wie ich mich herausgeredet hatte. Doch er war zu verstört, um lange über mich nachzudenken.
Boudet und Gélis kamen in den darauffolgenden zwei Wochen nur ein einziges Mal für zwei Tage herauf, um Bérenger zu helfen, die schönen Fliesen des Turmbodens herauszureißen, und den Untergrund so vorzubereiten, dass eine Woche später Handwerker neue Fliesen legen konnten.
Am Abend vor Michaelis kam dann der Brief, der die Angst offen ausbrechen ließ. Die Nachricht brachte eine Gewissheit mit sich, die man als endgültig bezeichnen kann. Vorher hatten wir es befürchtet, jetzt wussten wir – wenn auch jeder für sich -: Es kann lebensgefährlich für uns alle werden, die wir in das Geheimnis eingeweiht sind. Für Bérenger natürlich mehr als für mich, da kein Außenstehender letztendlich ahnen konnte, ob ich etwas wusste oder nicht.
Bérenger kam in die Küche gewankt, löschte das Licht und nahm mich in seine Arme. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Mit gebrochener Stimme betete er das De profundis . Da wusste ich, dass jemand gestorben war.
„Marie, man hat Gélis erschlagen“, brach es dann aus ihm heraus. „Ermordet!“
Er stöhnte, und Tränen rannen ihm die Wangen hinab.
„Nur ich, nur ich und Boudet sind übrig, nur wir zwei noch“, flüsterte er. „Und Hoffet, doch der ist weit weg.“
„Wie konnte das geschehen?“ stammelte ich. Mein Herz klopfte zum Zerspringen.
„Ich weiß es nicht. Gélis war ein überaus ängstlicher und vorsichtiger Mensch. Er lebte absolut zurückgezogen, schloss sich bei Sonnenuntergang in sein Haus ein und war unauffällig, was seine täglichen Gewohnheiten betraf. O mein Gott, es ist, als ob er von der drohenden Gefahr geahnt hätte! Ausgerechnet ihn hat man umgebracht. Marie, es ist schrecklich, nein es ist einfach ungeheuerlich!“
„Aber warum? Was hat Gélis getan? Hat sein Tod mit eurem Geheimnis zu tun?“ fragte ich, mich meiner Scheinheiligkeit schämend, aber zugleich auch voller Furcht.
„Ja“, Bérenger stöhnte.
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